Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schnabel, Andreas

Schnabel, Andreas

Titel: Schnabel, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod inclusive
Vom Netzwerk:
Tag, an dem ich meinen Gatten nicht nur mit meinen Armen umklammern kann. Allah schütze und segne dich.«
    Der junge Mann überflog die Nachricht, schien aber nur Allah entziffern zu können. »Sie sind Muslima?«, fragte er erstaunt.
    »Nein, und trotzdem bete ich zu dem, den ihr Allah nennt. Ich nenne ihn Gott.«
    Über der Arbeitsluke begann ein gelbes Licht zu blinken. Der Sanitäter kappte die Verbindung der Interkom-Anlage zu seinem Helm, und sie tat es ihm nach. Er griff nach zwei Klettergeschirren, die neben den Sitzen an einem Haken hingen, und reichte ihr eines davon. »Können Sie es anlegen?«
    Sie nickte. »Ich denke schon.«
    Als sie fertig waren, prüfte er noch schnell den korrekten Sitz ihres Gurtes und war zufrieden.
    Ein grünes Licht blinkte plötzlich statt des Gelben. Der Board-Crew-Man öffnete die Seitenluke und klappte den Windenarm nach außen. Er beugte sich vor und zog den Windenhaken in den Hubschrauber hinein. Der Rettungsassistent hängte eine Art Korbtrage aus Metallgeflecht daran, in der ein Rettungsrucksack festgeschnallt war, hakte Annmarie mit ihrem Geschirr an die eine Seite und sich selbst an die andere. Er lachte sie an. »Nun kann sie losgehen, die wilde Fahrt.«
    Bevor sie überhaupt eine Chance hatte, Angst zu entwickeln, wurden sie schon mitsamt der Trage aus dem Hubschrauber geschoben. Sie sah nach oben, wurde aber von einem grellen Scheinwerfer geblendet. Zwar heißt es, man solle in einer solchen Situation niemals nach unten sehen, doch ihr blieb gar nichts anderes übrig. Hakim schien sein Handwerk zu verstehen, denn das Schiff schob sich langsam unter sie, und er schaffte es, diese Position sicher zu halten, obwohl die Fähre in voller Fahrt war. Kaum dreißig Sekunden später setzten sie sanft an Deck auf. Annmarie hakte sich aus und wollte sich um den Patienten kümmern, der, bereits komplett versorgt und mit einer Plane abgedeckt, auf einer anderen Korbtrage festgeschnallt war. Sie nahm ihren Helm ab, kniete sich neben ihn und strich mit einer Hand über die Plane, um Kontakt zu ihm aufzunehmen, aber da war kein Mensch. So, wie es sich anfühlte, hatte man längliche Kisten verpackt.
    Sie hob die Plane an, und es waren wirklich Plastikkisten darunter. Bevor sie reagieren konnte, wurde sie auch schon wieder von einem Mann untergehakt und mit sanfter Gewalt zu einer Tür gedrängt. »Kommen Sie bitte, Frau Doktor. Hier draußen können wir uns nicht unterhalten.«
    Im Schiffsinneren brauchten ihre Ohren einen kurzen Augenblick, um sich von dem infernalischen Lärm, den der schwere Hubschrauber machte, zu erholen.
    »Madame, ich bin der Bruder von Hakim«, sagte der Mann, der sie hereingeführt hatte. »Kapitän Ben Brahim ist mein Name. Ich bringe Sie jetzt in eine kleine Kabine, in der Sie alles Notwendige für die noch gut zehnstündige Überfahrt finden. Ich bitte Sie herzlich, die Kabine so lange nicht zu verlassen, bis ich Sie abhole und persönlich in Alicante an Land bringe. Haben Sie mich verstanden?«
    Annmarie nickte etwas verstört und folgte dem Mann kommentarlos. Sie schwieg nicht aus Angst oder Verwunderung, sondern wurde von einer Art Schockstarre überfallen. Die Geräusche, die Gerüche, das Stampfen der schweren Maschinen, all das erinnerte sie fatal an das Schiff, mit dem sie vom spanischen Festland nach Nordafrika entführt worden war. Sie war damals in einem fensterlosen Lieferwagen direkt an Bord einer großen Fähre gefahren und mit zwei anderen Frauen in eine Vierbettkabine gesperrt worden, ihrem gemeinsamen Gefängnis.
    Nachdem sie zuerst mit einem Lift und dann über mehrere kleinere Treppen tief nach unten ins Schiffsinnere gelangt waren, öffnete der Kapitän eine Kabinentür. Ihr sträubten sich die Haare.
    »Herr Kapitän, es tut mir leid, wenn ich etwas zögere, aber die erzwungene Überfahrt nach Algerien erinnert mich sehr an diese Reise hier.«
    »Es tut mir leid, Madame Colonel, aber Fähren gleichen sich nun mal wie ein Ei dem anderen. Allein die ›Liberté‹, auf der wir uns gerade befinden, hat fünf Schwesternschiffe.«
    Annmarie überwand sich und betrat die kleine Kabine.
    »Es tut mir leid, Madame, aber ich muss Sie jetzt allein lassen. Meine Pflichten rufen mich. Ich werde mich nachher noch einmal bei Ihnen sehen lassen.«
    Er verschwand mit einem, wie sie zugeben musste, gewinnenden Lächeln und zog die Tür hinter sich zu. Entsetzt vernahm sie, dass sie von außen verschlossen wurde. Tränen schossen ihr in die Augen.

Weitere Kostenlose Bücher