Schnabel, Andreas
Seitenbrücke und beobachtete durch sein Fernglas voller Sorge das Spektakel, das sich ihm achtern bot. Als sich der Hubschrauber nun gar nicht mehr darum bemühte, jemanden an Deck abzusetzen, sondern sich stattdessen daran machte, eine Person aus dem Wasser zu fischen, wusste er, dass das ganze Unternehmen aufgeflogen war. Man hatte ihn ausgetrickst. Er steckte das Fernglas in die Halterung zurück, übergab die Brücke seinem ersten Offizier und ging in den Funkraum, um zu telefonieren. Danach wurde Kapitän Ben Brahim nicht mehr lebend gesehen.
Am Horizont graute der Morgen, und die ersten Möwen flogen kreischend um das Oberdeck herum. Der einzelne dünne Schuss aus der Kapitänskabine war kaum zu hören.
*
Das Handy klingelte. García Vidal griff verschlafen nach rechts zu seinem Nachttisch, hatte aber nichts weiter als die Nase seiner protestierenden Freundin in der Hand. Eine Entschuldigung murmelnd, richtete er sich auf. Zu Hause war er nicht, das stand fest. Er tastete sich in die andere Richtung und fand sein Handy.
»Ja?«, murmelte er.
»Cristobal?«
»Ja.«
»Ich bin es, Gómez. Wir haben sie.«
Der Comisario schaute verwirrt zum Fenster. »Es ist doch noch nicht einmal richtig hell, die Fähre kann doch noch gar nicht in Alicante sein.«
»Wie haben sie auf See gestellt. Wir hatten diese Fähren schon lange in Verdacht, Menschen zu schmuggeln, und uns war klar, dass Frau Momperen die spanische Küste nie lebend erreichen würde, deswegen haben wir gleich zugeschlagen. Wir sind mit dem Helikopter los und haben die Fähre über Funk benachrichtigt, dass wir an Bord kommen werden, damit sie ihre Fracht über Bord gehen lassen, die Wärmebildkamera im Anschlag. Wir haben Frau Momperen leicht lädiert, aber lebend aus dem Meer fischen können.«
»Gratuliere, Gómez, aber sagen Sie, wo stecken Sie eigentlich mit Ihrer Korvette?«
»Señor«, kam es gespielt beleidigt, »seit Anfang des Jahres befehlige ich die modernste Fregatte der spanischen Küstenwache. Woher sollte ich sonst einen Hubschrauber mit Wärmebildkamera haben?«
»Da haben Sie recht, Gómez. Entschuldigen Sie bitte, ich bin noch nicht ganz wach.«
»Cristobal, bevor Sie sich wieder hinlegen, sagen Sie mir bitte, ob ich Ihnen Frau Momperen vorbeibringen oder sie in Alicante ins Flugzeug setzen soll.«
»Kommen Sie denn nach Mallorca?«
»Wir kreuzen ständig zwischen Gibraltar und den Balearen. Das ist unser Gebiet.«
»Dann bringen Sie sie uns doch bitte vorbei. Wann können Sie hier sein?«
»Heute Abend irgendwann. Ich liefere die Fracht mit dem Hubschrauber frei Haus.«
»Das ist nett, Gómez, und legen Sie bitte auf einen Cortado bei uns an.«
García Vidal legte auf und sah auf das Handy. Es war fünf Uhr dreißig. Er sah aus dem Fenster. Am Horizont war bereits ein leichtes Grau wahrzunehmen. Er wollte sich gerade wieder zurück ins Bett fallen lassen, da klingelte das Handy erneut.
»Was ist, Gómez, haben Sie sie doch wieder ins Wasser geschmissen?«
»No, Señor, hier ist die Leitstelle. Es hat in Campos eine Explosion in einem Asylantenheim gegeben.«
García Vidal war schlagartig hellwach. Er notierte sich die Adresse und rannte ins Badezimmer. Vorher öffnete er noch schnell die Tür des Gästezimmers, in dem er und Angela schliefen, wenn sie auf der gräflichen Finca übernachteten, und rief auf den Flur hinaus: »Filou, mach dein Herrchen wach, es gibt Arbeit!«
*
Die Flammen waren bereits gelöscht, als Berger, Carmen und García Vidal in Campos ankamen. Die Spurensicherung und der Gerichtsmediziner hatten ihre Arbeit aufgenommen. »Guten Morgen, meine Dame und meine Herren«, begrüßte sie der Chef der Policía Local von Campos. »Wie es scheint, hat hier ein Selbstmordattentäter bei einem Arbeitsunfall seine gesamte Familie ausgelöscht.«
»Wie kommen Sie denn darauf?«, hakte Berger gleich nach.
»Ist doch eine ganz einfache Rechenaufgabe: Muslim plus Taliban plus Bombe gleich Bumm.«
»Na, Sie sind mir ja ein ganz helles Köpfchen«, bemerkte der Comisario. »Ihre Rechenaufgabe überzeugt. Noch ein paar mehr von Kollegen Ihres Schlages, und wir sind wieder bei der Inquisition.«
»Wie soll ich denn das verstehen?«, erkundigte sich der beleidigte Polizeichef. Sie betraten den Raum, in dem die Bombe hochgegangen war. Rund um den Tisch lagen drei verbrannte Leichen, in den Betten anscheinend zwei Kinderleichen. »Das ist doch wohl eindeutig, oder?«
»Eindeutig ist«, putzte ihn García Vidal
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