Schnappschuss
wurde rot. »Meine Frau kennt Sie. Vom Jugendclub in der Siedlung.«
Natalie schaute zurückhaltend. »Mrs. Sutton, die Sozialarbeiterin? Das ist Ihre Frau?«
Verdammt, dachte Scobie. Ich hätte besser meine große Klappe gehalten. Wenn sich Natalie jetzt weigert, mit Beth zusammenzuarbeiten, habe ich mich eingemischt und die Arbeit meiner Frau ruiniert.
Ein kleiner Lieferwagen hielt am Straßenrand und der Fahrer hupte. »Ich muss los«, sagte Natalie. »Bis bald, Mr. Sutton. Tschüss, Ma.«
»Ihr Freund«, erläuterte Heather Cobb und sah dem Lieferwagen hinterher.
Irgendwie hatte Scobie das unbestimmte Gefühl, dass der Freund Natalie nicht zurück zur Schule fuhr. Sein Handy klingelte. Ellen Destry war dran. »Bist du fertig?«
»Ja.«
»Ich brauch dich hier«, sagte Ellen ohne jede weitere Erläuterung.
»Na, kommen Sie«, sagte Scobie zu Heather Cobb, »Ich fahr Sie nach Hause.«
7
Tessa Kane wusste um viertel vor zehn von dem Mord. Einer ihrer vielen Kontakte, ein Rettungssanitäter, hatte sie angerufen. Sie hatte sofort versucht, Hal Challis zu erreichen, doch der war offenbar nicht auf dem Revier und ging auch nicht ans Handy – zumindest nicht, wenn sie anrief. Ellen Destry und Scobie Sutton waren nicht erreichbar, und niemand vom Polizeirevier Waterloo wollte mit ihr reden. Eine halbe Stunde lang war sie völlig hektisch, doch dann fragte sie sich, wozu eigentlich. Sie gab eine Wochenzeitung heraus: die Tageszeitungen würden alle Einzelheiten der Story bringen, und sie musste sich damit begnügen, in der nächsten Dienstagsausgabe, wenn der Fall zweifellos schon lange abgeschlossen sein würde, einen Überblick zu liefern.
Um elf Uhr schließlich rief Challis zurück und schlug vor, sich auf einen Kaffee zu treffen. Fünf Minuten später ging sie die High Street entlang zum Café Laconic, wo sie sich an einen Tisch am Fenster setzte und zu den überdachten freien Tischen am Straßenrand, einer Telefonzelle und einer Platane hinaussah. Den ganzen Morgen über hatte dichter Nebel geherrscht, doch hier auf der High Street hatte er sich gehoben, ganz so, als habe er sich kraft menschlicher Anstrengung aufgelöst. Tessa zog sich den Mantel enger um die Schultern und warf einen Blick auf die Pinnwand neben sich. Das Filmprogramm dieser Woche im Drive-in-Kino in Dromana, ein paar Haushaltsauflösungen – sie liebte diese Art von Flohmärkten –, eine Reihe von Visitenkarten und der Aufruf zu einer Wahl, die vor achtzehn Monaten stattgefunden hatte. Dann stand ein Kellner neben ihr und warf einen wohlwollenden Blick auf ihre Beine, die heute in Strumpfhose unter einem Rock hervorlugten, schlank und dunkel. Normalerweise trug sie Jeans oder Hose, doch an den Dienstagen, dem Erscheinungstag der Zeitung, putzte sie sich gern etwas heraus.
»Was darf ich Ihnen bringen?«
Tessa lächelte. »Erst mal nichts, danke. Ich warte noch auf einen Freund.«
»In Ordnung«, sagte der Kellner und ging wieder hinter die Theke, einer Planke Jarrah-Holz, das mit Wellblech beschlagen war. Überall Holz und Eisen, fiel ihr auf. Ihr Blick landete wieder auf dem Wahlplakat. Damals hatte ihre Stimme keinen Ausschlag gegeben. Sie kam aus einer Familie von Labor-Wählern, aber die Labor Party hatte sich schon lange von all den Werten verabschiedet, die Tessa wichtig waren: Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und eine unabhängige Außenpolitik. Als Labor erste Anzeichen des Niedergangs zeigte, hatte sie ein paarmal die Kommunisten gewählt, allein aus Protest, aber der Kommunismus hatte sich völlig verausgabt. Jetzt wählte sie die Grünen, denn anders als Labor vertraten die zumindest noch Werte und Vorstellungen. Wahrscheinlich würde sie sich selbst als rot-grün bezeichnen und für Reformen im Sinne von sozialer Gerechtigkeit und Ökologie eintreten. Leider wurden die Grünen im Allgemeinen als spinnerte Baumknutscher betrachtet – und tatsächlich gab es ziemlich viele, deren Vorstellungen nicht viel weiter reichten. Tessa würde niemals die Liberalen oder Demokraten wählen und nie wieder Labor, die Partei, deren Expremiers nun Millionäre waren, deren Exsenatoren und Minister vor der Steuer flohen oder sich den Reichsten in Australien andienten.
Tessa saß da und kochte leise vor Wut, als die schlanke Gestalt von Hal Challis an der Scheibe vorbeiging. Die beiden unterhielten ein kompliziertes Verhältnis zueinander. Eine Zeit lang waren sie ein Liebespaar gewesen, aber ihre Beziehung war langsam eingeschlafen,
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