Schnappschuss
der Hauptstraße einnahmen. Bistro und Feinkostgeschäft links und rechts davon hätten aus einem Lifestylemagazin stammen können und wurden, soweit Ellen das beurteilen konnte, von Leuten frequentiert, die demselben Lifestylemagazin entstiegen waren. Sie fragte sich, ob diese Leute jemals eigene Entscheidungen trafen, und sprach diesen Gedanken aus.
»Wie bitte?«, fragte Scobie.
»Vergiss es«, sagte Ellen. Scobie Sutton glaubte an das Gute im Menschen. Argwohn war für ihn ein Fremdwort.
Sie betraten das Gebäude, niemand saß am Empfang. Ellen nahm eine Hochglanzbroschüre in die Hand und zeigte sie Scobie: Janine McQuarrie war eine gut aussehende Frau. Das Gesicht in der Broschüre wirkte beherrscht, humorlos.
In diesem Augenblick trat ein Mann, etwa fünfzig, mit Neigung zur Glatze und wie aus dem Ei gepellt, wütend in den Empfangsbereich. Ellen konnte ihn auf Anhieb nicht leiden. »Entschuldigung, Sir«, hob sie an.
»Ja?«, fauchte er sie an. Er wich ihrem Blick aus und sprach zu einem Punkt mehrere Zentimeter über ihrem Kopf.
»Wir möchten gern mit –«
»Dazu brauchen Sie einen Termin – wenn unsere Empfangsdame wieder zurück ist, wo immer sie sich rumtreibt.«
»Es ist wichtig«, betonte Ellen. »Wir müssen jemanden von der Geschäftsleitung sprechen.«
»Und wer ist ›wir‹?«
Sie zeigten ihm ihre Dienstmarken. »Ich bin Dominic O’Brien, einer der Inhaber«, sagte der Mann, der sich noch immer weigerte, ihr in die Augen zu schauen – vielleicht konnte er es auch einfach nicht.
»Mr. O’Brien, es tut mir leid, aber ich habe schlechte Nachrichten. Eine Ihrer Kolleginnen, Janine McQuarrie, ist heute Morgen tot in Penzance North aufgefunden worden.«
Es gab ein kurzes Schweigen, der Mann räusperte sich und sagte dann: »Wie bitte? Wer sagten Sie sind Sie? Was sagen Sie da?«
Ellen wiederholte alles noch einmal. O’Briens Stimme nahm an Kraft und Leidenschaft zu. »Und Sie denken, Sie platzen einfach mal so hier herein und schleudern mir diese hübsche kleine Granate hin?«
Ach herrje. Behutsam sagte Ellen: »Es tut mir außerordentlich leid, Mr. O’Brien, Sie haben natürlich Recht, aber es gibt nun mal keine angenehme Möglichkeit, eine solche Nachricht zu überbringen, und wir müssen schnell handeln. Wissen Sie, warum Mrs. McQuarrie heute Morgen in Penzance North war?«
»Keine Ahnung.«
»Hat sie einen Klienten aufgesucht? Soweit ich weiß, war sie Psychologin, Beraterin.«
»Ja. Wollen Sie damit andeuten, einer ihrer Klienten hat sie umgebracht?«
»Das wissen wir nicht. Glauben Sie ,dass so etwas passiert sein könnte?«
»Wir gehen lieber in mein Büro«, sagte O’Brien.
Er führte sie nach oben in ein riesiges, bedrückendes Eckzimmer. Gott helfe der armen Seele, die hier Trost sucht, dachte Ellen. »Wir müssen Mrs. McQuarries Akten einsehen«, sagte sie.
O’Brien hatte nun wieder festen Boden unter den Füßen. Er widersetzte sich diesem Anliegen. »Janine hat mich beauftragt, für den Fall, dass ihr etwas zustößt, auf ihre Unterlagen Acht zu geben. Das ist so üblich«, fügte er an, um jeden Einspruch der beiden Polizisten gleich von vornherein zu unterbinden.
»Dürfen wir die Unterlagen sehen? Wir müssen die Namen derjenigen haben, die als instabil zu betrachten sind, um alle anderen ausschließen zu können.«
»Ein kleiner Fischzug? Abgelehnt. Erst brauchen Sie einen richterlichen Beschluss, und dazu brauchen Sie einen Grund, und dann werden wir Widerspruch einlegen.«
Ellen seufzte. Sie wusste, dass ein Friedensrichter eine solche Anordnung ohne jedes Zögern erlassen würde, schließlich handelte es sich um einen Mordfall. Aber nur, falls die Polizei einen überzeugenden Anhaltspunkt dafür vorlegen konnte, dass es sich bei dem Mörder höchstwahrscheinlich um einen Klienten der Toten handelte und nicht um irgendeine andere Person. »Na gut, aber vielleicht können Sie mir sagen, welche Art vonLeuten Mrs. McQuarrie betreute.«
O’Brien seufzte schwer. »Kinder – Bettnässer und verwirrte Jugendliche. Menschen, die um eine geliebte Person trauern. Frauen, die die Kraft finden, sich aus einer unglücklichen Ehe zu lösen. Alle möglichen ganz gewöhnlichen Nöte, aber keine, die vielleicht den Anlass zu einem Mord liefern würden, jedenfalls glaube ich das nicht.«
Ellen gab ihm insgeheim Recht. Nach Challis’ Beschreibung der Tatumstände handelte es sich bei der Ermordung von Janine McQuarrie um einen sorgfältig geplanten
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