Schnappschuss
und griff nach dem Telefon. »Ich werde den Superintendent anrufen. Die Frau, die in Mrs. Humphreys’ Zufahrt erschossen wurde, war seine Schwiegertochter.«
Die beiden waren überrascht, fiel Challis auf. Vielleicht waren sie nicht von hier, sondern waren letzte Nacht aus Sydney oder Canberra eingeflogen. Er wählte die Nummer des Super. McQuarrie war kurz angebunden. »Ja?«
»Sir, hier sind zwei Beamte der Federal Police bei mir. Als ich gestern Abend den Namen von Christina Traynor durch den Computer gejagt habe, bin ich wohl jemandem auf die Zehen gestiegen. Bisher haben sie mir aber noch nicht mitgeteilt, worum es eigentlich geht.«
McQuarrie klang triumphierend. »Begreifen Sie endlich?«, drängte er. »Janine hat sich verfahren. Die falsche Person am falschen Ort zur falschen Zeit.«
Der Kerl hat nur Angst, es könne im Leben seines Sohnes oder seiner Schwiegertochter etwas Schmutziges auftauchen, und das könne auf ihn zurückfallen, dachte Challis mürrisch. Nach den Wertvorstellungen des Super war es wohl besser, Janine war aus Versehen ermordet worden, nicht von einer heimlichen Liebe oder einer Konkurrenz.
»Sir, könnten Sie bitte mit den beiden reden?«
Challis reichte dem Dürren den Telefonhörer und hörte das blecherne Krächzen von McQuarries lauter Stimme. Der Dürre war äußerst höflich und ließ sich durch McQuarries Schimpfkanonade nicht weiter beeindrucken, doch als er wieder auflegte, war klar, dass sich für ihn etwas geklärt hatte.
»Lassen Sie mich die Sache erklären«, sagte er.
22
Eine Stunde später setzte sich Ellen an den Tisch in der Einsatzzentrale und schaute zu, wie Challis sich erhob und verkündete: »Vor Dienstantritt heute Morgen hatte ich Besuch von zwei Beamten von Witsec.«
Witsec war das bundesstaatliche Zeugenschutzprogramm. Ellen konnte beobachten, wie das die Aufmerksamkeit und Faszination von Scobie Sutton und den anderen weckte. Sie bemühte sich, deren Gesichtsausdruck nachzuahmen, und amüsierte sich: Challis erwähnte mit keinem Wort, dass sie bei ihm gewesen war. Sie verstand schon, warum. Die anderen würden sich die Mäuler zerreißen.
»Letztes Jahr«, fuhr Challis fort, »gab Witsec Christina Traynor Schutz und später eine neue Identität.«
Er pinnte eine Fotografie an die Wand hinter sich.
»Christina Traynor ist zufällig auch das Patenkind von Mrs. Joy Humphreys, die im Haus Nummer 283 Lofty Ridge Road wohnt, wo Janine McQuarrie ermordet wurde. Christina Traynor verbrachte im April drei Wochen bei Mrs. Humphreys.«
Ein Stöhnen ging durch den Raum. »Also alles noch mal von vorn«, bemerkte einer der Polizisten, der aus Mornington ausgeliehen war.
»Und wo ist die Traynor jetzt?«, fragte Scobie.
»In London, meint Mrs. Humphreys. Offenbar ist sie Hals über Kopf verschwunden.«
Alle schauten wieder auf das Foto. Das Bild, das die Beamten von Witsec ihnen übermittelt hatten, ähnelte Janine McQuarrie nur von weitem. Zwar hatten beide Frauen blondes, schulterlanges Haar, aber das von Christina war steif und dicht, das von Janine glatt, fein und glänzend. Christina war kräftig gebaut, Janine eher zart. Christinas Gesicht wirkte lebhaft und zu einem Lachen aufgelegt, Janines Gesicht verschlossen, fast misstrauisch.
»Keine besonders große Ähnlichkeit«, sagte Challis, so als könne er Gedanken lesen, »aber groß genug, wenn man nur eine Beschreibung hat. Vielleicht war für den Mörder ausschlaggebend, dass er damit rechnete ,Traynor zu sehen, also nahm er an, dass jede, die ihr ähnlich sah, auch höchstwahrscheinlich sie war.«
»Nur dass er zwei Monate zu spät dort aufkreuzte«, bemerkte Scobie. »Ein bisschen sehr lang, Chef.«
Challis zuckte mit den Schultern. »Vergessen wir nicht, dass es sich um das Zeugenschutzprogramm handelt, unser Mann war also schon ziemlich gewieft, sie überhaupt zu finden. Ein Motiv gibt es auch«, fuhr er fort, »wie es scheint, war sie mit den falschen Leuten zusammen, arbeitete dann als Informantin und brauchte Schutz und eine neue Identität.«
»Sie muss ziemlich wichtig sein, wenn die Witsec-Leute unangekündigt hereinschneien.«
»Das ist sie – oder war sie.« Challis warf einen Blick auf seine Notizen und gab dann die Info mit eigenen Worten wieder. »Christina Traynor wuchs in Melbourne auf und zog mit ihren Eltern nach Sydney, als sie sechzehn war. Sie studierte Jura an der Sydney University. Ihre Eltern leben an der Gold Coast. Christina kam gut voran – Juniorpartnerin in
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