Schnappschuss
noch in gehobener Stimmung von den Ereignissen des Vormittags. Sie hätte schwören können, dass Challis sie beinahe geküsst hätte, wenn diese Pfeifen von Witsec nicht aufgetaucht wären.
Sie sah, wie die Tür aufging und Challis herauskam. Er trug zu einer Zeit und an einem Ort einen Mantel, wo Männer keine Mäntel trugen, sondern knallbunte Daunenjacken oder Polarfleece. Challis war ein ganz klein wenig schrullig, aber gerade das mochte sie an ihm. Er sah sich nach ihr um, und in den ein, zwei Sekunden, die er brauchte, um den Dienstwagen und sie zu entdecken, war sein Gesicht ganz ruhig und verriet den wahren Challis darunter: müde, ein wenig traurig und von Sorgen zerfurcht, das schmale Gesicht und die tief liegenden Augen leicht streng blickend. Dann lächelte er, was ihn völlig veränderte.
»Alles klar so weit?«, fragte Ellen, als er auf der Beifahrerseite Platz nahm.
»Waterloo Motors hat gerade angerufen, als ich gehen wollte«, erklärte er und schnallte sich an.
»Und?«
»Es wird ein paar Tage dauern, bis sie die nötigen Ersatzteile beisammen haben.«
»Kaufen Sie sich doch ein neues Auto, Hal.«
»An dem Wagen ist alles in Ordnung. Der Motor ist müde, das ist alles«, erwiderte Challis. »Genau wie der Besitzer.«
Sie schaute ihn an, ob da irgendeine unanständige Nebenbedeutung mitschwang, doch wie üblich blieb Challis regungslos. »Ich fahre Sie gern zur Arbeit und zurück, bis sie Ihren Wagen wiederbekommen«, sagte sie und bemühte sich, das Ganze nicht allzu bedeutsam klingen zu lassen.
Challis schüttelte den Kopf. »Ich kriege heute irgendwann einen Ersatzwagen.«
Seine gute Laune ließ schnell nach. Um ihn abzulenken, sagte Ellen: »Alan wollte wissen, warum Sie sich nicht ein Taxi genommen haben, um zur Arbeit zu kommen«, und wartete seine Reaktion ab. Aus Gründen, die sie nicht ganz zu Ende gedacht hatte, wollte sie Challis wissen lassen, dass ihr Mann eifersüchtig war.
»Hm«, machte Challis.
Ellen gab auf, und die beiden fuhren schweigend zum Krankenhaus. Ellen war irgendwie enttäuscht. Als sie ins Krankenhaus kamen, traten sie in eine bedrückende, trockene Hitze. Dabei musste man sich ja krank fühlen, fand Ellen. Eine Krankenschwester führte sie über einen in Pastellfarben gestrichenen Flur, sie fanden die Eigentümerin des Hauses 283 Lofty Ridge Road vor, wie sie Fernsehen schaute. Sie sah wütend aus. »Da läuft nur Mist«, klagte sie. »Und wer sind Sie?«, wollte sie dann wissen.
Challis stellte sie beide vor. »Mrs. Humphreys, ich muss Ihnen ein paar Fragen nach Ihrem Patenkind stellen.«
Mrs. Humphreys zielte mit der Fernbedienung nach dem Fernseher, und das Bild fiel in sich zusammen. »Ich konnte Ihrem Kollegen gestern schon nicht sonderlich helfen, und ich glaube auch nicht, dass ich Ihnen heute eine größere Hilfe bin.«
Challis lächelte. »Wie geht es Ihnen heute?«
»Immer noch völlig zerschlagen, aber die Birne ist klarer.«
»Sie haben DC Sutton gesagt, Ihr Patenkind sei im April für eine Weile bei Ihnen gewesen.«
»Ja, stimmt. Für etwa drei Wochen.«
»War der Besuch ungewöhnlich?«
»Ja und nein. Als sie klein war, habe ich sie oft gesehen, bevor ihre Familie nach Sydney zog, aber in letzter Zeit nicht mehr. Hören Sie, steckt sie in Schwierigkeiten?«
Challis fragte sich, wie viel er ihr verraten sollte. »Nicht bei der Polizei. Sie hat nichts falsch gemacht.«
Mrs. Humphreys walkte ihre blassblaue Krankenhausdecke mit venösen Händen und sah ihn scharfsinnig an. »Diese Frau, die vor meinem Haus erschossen wurde – glauben Sie, dass die eigentlich hinter Chris her waren?«
»Das wissen wir nicht genau. Wir müssen alle Möglichkeiten bedenken. Sind Sie sicher, dass Christina nach London geflogen ist?«
»Sie hat mir eine Postkarte geschickt. Ich habe die Handschrift erkannt. Glauben Sie, sie ist dort in Sicherheit?«
»Ja.«
Mrs. Humphreys schien davon nicht überzeugt.
»Wie würden Sie Christinas Stimmung beschreiben?«
»Als sie bei mir war? Darüber habe ich auch schon die ganze Nacht gegrübelt. Damals dachte ich, sie hätte Liebeskummer – Sie wissen schon, irgendein Mann hatte ihr den Laufpass gegeben, und sie wollte für eine Weile davon wegkommen. Sie war unausgeglichen und traurig. Wollte das Haus nicht verlassen. Jetzt denke ich, sie war nicht traurig, sondern hatte Angst.«
»Hat sie irgendwelche ungewöhnlichen Anrufe bekommen oder getätigt? Hatte sie Besucher?«
»Nein.«
»Und sie ist ganz
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