Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)
Prügelstrafe an Schulen (DDR: 1949, BRD: 1973, Bayern: 1980). Ob es um die Abschaltung von Atomkraftwerken oder die so genannte Energiewende geht, die im Osten mit teilweise bis zur Hälfte des erzeugten Stroms aus Wind- und Bioenergie längst vollzogen ist. Oder bei der Ausbeutung von Billiglohn-oder Leiharbeitern – inzwischen liegt der Osten sogar vorn, was modernen Kapitalismus betrifft. Diesen ganzen altmodischen Mist mit Gewerkschaften, Mindestlöhnen und Arbeitnehmervertretung haben wir schon überwunden, während sich der westdeutsche Lohnsklave immer noch an die 37-Stunden-Woche klammert.
Schon jetzt baut Porsche in Leipzig mehr Autos als in Stuttgart, obwohl hier kein Einheimischer damit fährt. Schimpansen im Wuppertaler Zoo führen ein grausameres Leben als manche Menschen in Marzahn. Leipziger Affen dagegen leben in der weltgrößten Menschenaffenanlage außerhalb von München oder Berlin-Mitte.
Wohin es führt, wenn man heutzutage nicht flexibel auf das Leben reagiert, musste kurz nach Honecker schon der westdeutsche Sandmann schmerzlich spüren. Erinnert sich überhaupt noch jemand an den? Er sah mit seinem Bart aus wie der berühmte Wirtschaftsprofessor Hans-Werner Sinn und sollte den künftigen Kapitalmarkt-Opfern Sand in die Augen streuen. Genau eine Woche, bevor er 1959 auf Sendung ging, stattete das DDR-Fernsehen Unser Sandmännchen mit Sandsack und Ulbricht-Bart aus und schickte es an die Front des kalten Krieges gegen den SFB-Kollegen.
Danach kämpfte der arme Kerl in ständig wechselnden ARD-Anstalten um die Gunst der eigenen Kinder. Doch selbst die sahen lieber dem Ost-Sandmännchen zu, wie es Pionierferienlager besuchte oder als Kosmonaut seinen Kollegen auslachte, bis es ihn schließlich 1991 ganz in Rente schickte. Es blieb lange der einzige Fall unter diesen statistisch gewissermaßen umgekehrten Vorzeichen, aber auch für die wachsende Zahl abgewickelter Westler hat das zuständige Bundesamt einen Trost: Ost-Rentner sterben im Durchschnitt ein halbes Jahr eher. Und – von wegen, das wächst sich alles aus – dieser Abstand wächst sogar. Berechnungen des Bundesamtes gehen davon aus, dass ein Junge, der 2009 in den alten Ländern geboren wurde, fast eineinhalb Jahre länger zu leben hat als einer aus dem Osten. Weil sie weniger arbeiten? Seltener in Afghanistan den Kopf hinhalten? Weil Westdeutsche im Leben schon genug gestraft sind? Keine Ahnung – jedenfalls ein Grund mehr, die Schnauze zu halten.
»Spalter, Hetzer, Zonenlümmel.«
Leser der Kolumne auf stern.de
In der falschen Ecke
Nun gibt es Schnauze Wessi auch auf Papier – als Trost für die Landsleute in der Fremde oder für die Fremden im eigenen Land. Natürlich bei einem West-Verlag. Eine Danksagung.
Die Leute vom Verlag wollten sich unbedingt im Café Einstein treffen. Dort lungern immer irgendwelche Politiker rum, prominente Journalisten und andere Arschmaden. Wahrscheinlich findet man das schick, wenn man mal aus Gütersloh rauskommt. Früher ging mir das ähnlich. Damals hieß der Laden Unter den Linden noch Café Kisch . Es gab nicht so viele Alternativen, außerdem saßen da immer irgendwelche Punks und andere Müßiggänger. Heute verkehren dort keine anständigen Menschen mehr, und als der Vorschlag kam, zweifelte ich wieder, ob ein West-Verlag doch so eine putzige Idee war, wie ich anfangs fand: Nur konsequent, ja subversiv.
Ausgerechnet in dieser Plapperbude wollten sie mit mir über Schnauze Wessi reden? Es konnte nur westfälische Ironie sein, die sich nicht jedem gleich erschließt. Doch dann legten sie die ersten Entwürfe für das Buchcover auf den Tisch. Ihr Favorit war ein Trabant, auch das Ampelmännchen hatte es ihnen angetan. Der Programmchef fand zwei nackte Männerhintern am besten. So etwas hatte er schon mal im Urlaub auf Rügen gesehen.
FKK, Ampelmännchen, Trabis – das fällt westdeutschen Kreativen ein, wenn sie sich nach 22 Jahren den Kopf über den Osten zerbrechen. Ich schlug noch Broiler, Kathi Witt und den Sandmann vor. Sie nickten begeistert, aber zweifelten dann, ob das Sandmännchen noch ostdeutsch genug sei. Auf dem Titel gehe es um eindeutige Signale, erklärten sie mir – so wie man Indianern erklärt, dass dieser Begriff zwar nicht schön sei, aber in Western trotzdem niemand von amerikanischen Ureinwohnern spreche. Verstehe, sagte ich, deshalb heißt es auch Ostern und nicht Western. Genau, riefen sie.
Ihnen ging es um Symbole. Mir auch. Vor allem
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