Schneckenmühle
Freund der Herz-Dame, dieser verwöhnten Prinzessin, und die Pik-Dame sieht einen so spöttisch an. Meine Favoritin ist die Karo-Dame mit ihrem zurückhaltenden Charme. Und um sie zu bekommen, muß ich nur den Karo-König spielen. Daß die Karten
so
rum und
so
rum gelegt werden können, weil sie symmetrisch sind. Das kann man nie ganz begreifen.
Als ich wieder hochsehe, sitze ich alleine vor einer halb zu Ende gespielten Partie Offiziersskat. Beim letzten Lied des Abends ist Wolfgang aufgestanden, um sich unter die Tanzenden zu mischen, allerdings scheint er nach einem Lied zu tanzen, das nur er hört, in seinem Kopf.
Jetzt bin ich der einzige, der noch nicht getanzt hat. Ich kann mir nur eine Patience legen. Das Wort heißt auf Französisch «Geduld», das müßte ich aber noch gar nicht wissen in meinem Alter.
24 Ausflug nach Dečin, in die «Tsche SSR». Kronen müssen getauscht werden, zum ersten Mal halte ich fremdes Geld in der Hand. Warum heißt es bei denen «Kronen»? Andererseits, warum heißt es bei uns «Mark»? Wieviel Kronen wird man wohl brauchen? Ein gutes Zeichen, daß es für eine Mark mehrere Kronen gibt, dann sind wir doch reicher? «DDR» heißt hier «NDR». Ich habe Angst, bestohlen zu werden, denn diese Gefahr steigt im Ausland. Ich darf nicht nach meinem Geld nesteln, wieEmil in «Emil und die Detektive». An der Grenze bemühe ich mich wieder, nicht die Stirn zu runzeln. Es würde mich nicht überraschen, wenn sich bei der Kontrolle herausstellen würde, daß ich mit gefälschten Papieren reise, weil ich ein Spion bin, so geheim, daß ich es sogar selbst vergessen habe.
Leider sind die Geschäfte nicht gleich am Bahnhof, man muß ein Stück in die Stadt laufen und sie sich in den Seitenstraßen zusammensuchen. Gleich das erste Lebensmittelgeschäft stürmen wir, voller Gier auf die unbekannten Süßigkeiten in aufregend ungewohnten Verpackungen. Von den Brausebonbons hatten wir schon gehört, man lutscht ein Loch hinein, aus dem Brausepulver rieselt, das dann so gründlich ausgesaugt wird, daß der Bonbon durch den Unterdruck an der Zunge haftet. Ich frage die Verkäuferin nach Ketchup, sie dreht sich um, als habe sie verstanden, obwohl ich ja, bis auf «Ahoi!», kein Tschechisch kann. Ich kenne überhaupt niemanden, der das kann. Bei uns in der Kaufhalle gibt es nur ganz selten Ketchup, direkt aus einem Karton, den sie gar nicht auspacken, weil sich sowieso gleich alle darauf stürzen. Ich stelle mich dann mehrmals an, weil man nur drei Flaschen auf einmal bekommt. Ich liebe den Geschmack, ich habe einmal bei einer Geburtstagsfeier gewettet, daß ich eine ganze Flasche austrinken kann, nur, damit ich sie für mich alleine habe. Die Verkäuferin reicht mir ein Glas Tomatenmark aus dem Regal. Nein, ich will eine Tube. «Tuby?» Und außerdem süße Kaffeesahne, auch aus der Tube. Tubennahrung finde ich ungeheuer praktisch, gelöffelt oder geleckt würde es nicht so schmecken. Es ist ein Abenteuer, mit fremdem Geld zu bezahlen. Man sucht lange nach den richtigen Münzen, und die Verkäuferin deutet schließlichselbst auf die, die sie haben will. Einen Vorrat von neuen, makellos glatten, prall gefüllten Tuben lege ich mir an.
Es gibt auch elastische Gummispinnen, Schlangen und Kraken, die in der Hand zittern. Jemandem eine Schlange in den Schoß werfen, daß er sich erschreckt. Leider klappt das bei jedem höchstens einmal. Wenn das Mädchen, statt zu kreischen, den Versuch nur gelangweilt zur Kenntnis nimmt, fühlt man sich um seinen Lohn betrogen.
Radiergummis zum Kneten. Was für eine Idee! Kurvenlineale zum Verbiegen. Ist denn hier alles flexibler, verstellbarer, elastischer? Schaumgummibälle mit Batik-Muster. Im selben Laden ein Gerät fürs Auto, ein länglicher, schwarzer Gummistreifen mit einem Blitz auf der Verpackung. Soll ich das auf Verdacht kaufen? Vielleicht ist mein Vater hocherfreut, wenn ich es ihm zu Hause präsentiere: «Wo hast du
das
denn ergattert?»
In einem Schaufenster mit Spitzengardinen steht eine rote «Jawa», sogar mit Preisschild, das muß man aber durch drei rechnen. Einfach reingehen: Ich hätte gerne das Motorrad da, aus dem Schaufenster.
Holger leistet sich ein Tischfußballspiel von «Chemoplast Brno». Die Stadt hieß früher «Brünn», als da noch die Nazis lebten. Das Geräusch der zurückschnellenden Sprungfedern, auf die die Figuren montiert sind, die alle auf einem Fußball stehen. Jeder Spieler in einer Mulde, in der der Ball liegenbleibt,
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