Schnee Im Regierungsviertel
unauffällig grau-grünen Peugeot 505, der schon einige kräftige Rostflecken aufwies, abgestellt hatte. Sie verstauten die Taschen auf dem Rücksitz und nahmen auf den Vordersitzen Platz, um noch ein wenig zu plaudern. Jan legte den Arm um Yvette und zog sie an sich. Seine Hand fand, was sie suchte. Das Autoradio brachte Cole-Porter-Melodien. Der fordernde Körper neben ihm ließ Kubitzka bedauern, daß er für diesen Tag nicht anders disponiert hatte. Um von der Liebe im Auto einen besonderen Spaß zu erwarten, waren sie beide nicht mehr jung und ungestüm genug. Also löste er sich aus ihrer Umarmung und öffnete die Tür.
»Bis Freitag, ma petite.«
Sie knöpfte ihre Bluse zu und sagte mit einem Seufzer: »Spät, viel zu spät für eine Frau, die keine Angst vor dem Fliegen hat.«
Jan holte zwei der Taschen vom Rücksitz und stellte sie neben sich. »Ich hoffe, daß ich die richtigen habe«, sagte er schmunzelnd und warf Yvette noch eine Kußhand zu. Mit einem kurzen Antippen der Hupe dankte sie und fuhr davon, zurück nach Antwerpen.
Jan Kubitzka nahm die beiden gleichschweren Taschen und ging ohne Hast zu seiner One-seven-two. Er meldete sich bei der belgischen Luftaufsicht ab zu einem Inlandsflug nach Schaffen-Diest, ließ sich die Landebahn und QNH durchgeben und die Wetterlage. Dann schob er das Gas rein und nach knapp zweihundert Metern war die Cessna wieder airborn. Vier Kilo Kokain bester Qualität flogen mit. Mit leichtem Rückenwind würde er die zweihundertdreißig Kilometer bis Bonn-Hangelar in gut einer Stunde geschafft haben. Mit der Orientierung am Strahl des Funkfeuers BUN war der Rückflug ein Kinderspiel. Vom Flugplatz Diest hielt er reichlichen Abstand; dort wurden Sprünge an bunten Fallschirmen geübt. Die Grenze zu überfliegen war ebensowenig ein Problem wie beim Flug nach Grimbergen. Schon tauchte die Wasserschlange des Rheins auf, und Kubitzka meldete dem Tower in Hangelar seinen Rückflug von Aachen-Merzbrück. Wegen des leichten Rückenwindes landete er von Osten in die Landebahn 2-9 herein und rollte zu seinem Standplatz. Nachdem er die Maschine wie üblich gesichert hatte, ging er mit beiden Fliegertaschen zum Auto, das in der Nähe des Club-Lokals »Tant’ Tinchen« abgestellt war. Die Landegebühren brauchte der Konsul nicht sofort zu bezahlen, denn sie wurden ihm als einem honorigen Dauerkunden einmal, am Ende des Monats, in Rechnung gestellt.
12
Kriminalhauptmeister Wolfgang Müller hatte inzwischen den Lupus herausgekehrt und einen deutschen Verbandsvertreter das Fürchten gelehrt. Dagegen hatte auch dessen akademischer Titel nicht geholfen, ebensowenig wie die Abschirmung durch die Dame im Vorzimmer. Dr. Stakewerth war der Repräsentant eines großen Industrieverbandes, einer von den in die Liste des Bundestages eingetragenen Lobbyisten, die in Bonn durchaus ein Wort mitzusprechen haben. Er residierte in einer Patrizier-Villa aus der Gründerzeit, die, wie so viele Häuser zwischen dem Tulpenfeld und Bundestag, für Millionenbeträge den Besitzer gewechselt hatte.
Der Herr Doktor hatte seiner Sekretärin über die Gegensprechanlage kurz und knapp geantwortet, er habe zu tun. Wenn der Herr Müller sein Anliegen nicht ihr unterbreiten wolle, möge sie ihn kurzerhand nach Hause schicken. Er könne dann seine Wünsche schriftlich einreichen.
Die schon etwas angejahrte, aber tip-top gestylte Sekretärin schien eine von der bissigen Sorte zu sein. Sie gab Dr. Stakewerths Weisung in einem Ton weiter, den Lupus am allerwenigsten vertragen konnte. Schon manchen hatte das Echo darauf erschreckt.
Das herablassende Lächeln der Dame erstarb, als er mit entnervender Freundlichkeit sagte: »So, und nun melden Sie Ihrem Chef, daß Kriminalhauptmeister Müller vom Polizeipräsidium Bonn ihn dringend sprechen will; mit Betonung auf ›dringend‹! Haben Sie das verstanden?«
»Bitte, nehmen Sie doch Platz«, sagte die Zahmgewordene und ging ohne anzuklopfen durch die ledergepolsterte Tür in das Arbeitszimmer des vielbeschäftigten Herrn. Nach wenigen Sekunden war sie zurück: »Herr Doktor Stakewerth läßt bitten.«
Das war nun wirklich ein Arbeitsraum, wie man ihn von einem Repräsentanten der deutschen Wirtschaft erwarten durfte. Mit den Begriffen gut und teuer war noch nicht alles gesagt. Feingeknüpfte Perserbrücken auf einem hellen Teppichboden, dezent strukturierte Textiltapete, leicht gerahmte Bilder irgendwo zwischen Realismus und Futurismus, die
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