Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
Vom Netzwerk:
nur vor ihre Kabine treten und sich nach rechts wenden. Genau das hat sie während des Sturms getan. Sie hat an die Tür gehämmert, und vermutlich hatte sie vor, mich noch auf der Schwelle zu erschießen, denn niemand hätte bei dem Höllenlärm einen Schuss gehört. Als niemand öffnete, hat sie festgestellt, dass die Tür nicht verriegelt war. Also hat sie die Kabine betreten und zwei Schüsse auf den Mann abgegeben, der in der Koje lag.»
    «Warum traf sie dann den Hofrat?»
    «Weil sie vergessen hatte, dass sie sich auf der
Erzherzog Sigmund
befand und nicht auf der
Gisela
.» Haslinger strahlte geradezu. «Auf der
Erzherzog Sigmund
lag ihre Kabine nicht auf der Steuerbordseite, sondern auf der Backbordseite. Die rechts angrenzende Kabine war also nicht meine Kabine, sondern die Kabine Hummelhausers. Bei ruhigem Seegang hätte sie ihren Irrtum an der Bewegungsrichtung des Dampfers bemerkt, aber das war während des Sturms unmöglich.»
    «Mit anderen Worten, die Principessa hat   …»
    «…   die Kabinen verwechselt.» Haslinger lachte schallend. «Es muss ein Schock für sie gewesen sein, mich am nächsten Morgen auf Deck zu sehen.»
    «Die Principessa wusste also, dass weder Grillparzer noch Pellico den Hofrat getötet hatte.»
    Haslinger senkte zustimmend den Kopf. «Sie dachte,
sie
hätte den Hofrat erschossen. Und sie hat sehr richtig vermutet, dass ich es war, der das Mädchen getötet hatte. Vermutlich stammt die Theorie, dass ein dritter Passagier an dem Verbrechen beteiligt war, von ihr.» Haslinger füllteTrons Glas mit der linken Hand wieder auf. Den Revolver hielt er noch immer in der rechten. «Trinken Sie, Commissario.»
    «Wann werden Sie mich erschießen?»
    «Kurz bevor Sie zu Boden gehen.» Haslinger beugte sich über den Tisch und entblößte die Zähne zu einem hässlichen Grinsen. Jetzt war sein Gesicht dicht hinter den Kerzen.
    Tron nahm das Glas langsam in die Hand, und was anschließend geschah, schien im Wesentlichen auf einer Entscheidung seines Körpers zu beruhen, genauer gesagt seines Armes.
    Trons Arm – so schnell wie eine Möwe, die auf eine brechende Welle hinabschießt, um nach einem Fisch zu schnappen – schüttete den Rum mit einer zustoßenden Bewegung knapp über die brennenden Kerzen hinweg in Richtung Haslingers Gesicht.

57
    Hätte Tron den Rum eine Handbreit niedriger über den Tisch geschüttet, hätte er lediglich die Kerzen ausgelöscht. Aber so landete der Inhalt seines Glases mitten in Haslingers Gesicht und entzündete sich vorher an den Flammen. Haslinger hatte Recht gehabt. Der Rum brannte wie Petroleum. Erst umschloss der brennende Alkohol Haslingers Kopf wie eine leuchtende Hülle, dann begannen die Flammen zu lodern und bildeten kleine rote Zungen. Innerhalb von Sekunden brannte nicht nur der Alkohol, sondern Haslinger selber.
    Haslinger war aufgesprungen. Er hatte den Revolver fallengelassen und versuchte, die Flammen auf seinem Gesicht mit den Händen zu ersticken. Ohne nachzudenken, presste Tron beide Hände gegen die Tischkante und stieß so heftig zu, wie er konnte. Die Tischbeine machten ein quietschendes Geräusch auf dem Terrazzo, als der Tisch gegen Haslingers Oberschenkel prallte. Alles, was auf dem Tisch lag, rutschte polternd zu Boden, einschließlich des Revolvers.
    Als Haslinger sich bückte, stieß Tron den Tisch ein zweites Mal mit aller Kraft nach vorne. Diesmal traf die Tischkante Haslingers Gesicht, brach seine Nase und seinen linken Wangenknochen. Er stürzte zu Boden und blieb dort liegen – ein Bündel glimmender Wäsche, von dem ein scharfer Brandgeruch ausging. Der Ingenieur zuckte noch einmal, dann hörte er auf, sich zu bewegen.
    Was anschließend geschah, spielte sich sehr schnell ab – es dauerte nicht länger als zwei, drei Minuten, vielleicht sogar noch weniger. Aus den Augenwinkeln registrierte Tron eine Bewegung am linken Rand seines Gesichtsfeldes, und zugleich hörte er ein wütendes Schnauben. Er sprang auf und wirbelte herum – mit einer Schnelligkeit, die er sich nicht mehr zugetraut hätte.
    Der Riese stand vor ihm, und seine rechte Pranke hielt den Kopf der Marienstatue umfasst wie den Griff einer Keule. Er wiegte den Oberkörper hin und her wie eine Schlange, die gerade aus ihrem Korb kommt. Tron schnellte zurück, um dem Schlag auszuweichen. Er riss die Arme vor sein Gesicht, aber seine Reaktion kam den Bruchteil einer Sekunde zu spät. Die Statue streifte seine Stirn und riss seine linke Augenbraue auf. Blut

Weitere Kostenlose Bücher