Schnee in Venedig
und dem Glas stand ein Kerzenleuchter auf dem Tisch. Er verdeckte eine Hälfte von Haslingers Gesicht, und jedes Mal, wenn er sprach, brachte sein Atem die Kerzen zum Flackern. «Rum aus Jamaika. Brennt wie Petroleum. Aber schmeckt hervorragend.»
«Warum sagen Sie mir das?», fragte Tron.
«Weil ich möchte, dass Sie das Glas austrinken. Ich will es Ihnen leicht machen. Ein Schuss ins Herz ist eine angenehme Art zu sterben. Sie verlieren das Bewusstsein, bevor der Schmerz einsetzt. Und ich möchte, dass Sie ruhig auf Ihrem Stuhl sitzen, wenn ich abdrücke.»
Haslinger lächelte wieder. Diesmal leuchtete sein Lächeln regelrecht, erfüllt von widerlichem Triumph, und auf einmal begriff Tron, warum Haslinger ihn nicht sofort getötet hatte. Er begriff auch, warum die Principessa noch am Leben war. Haslinger wollte noch ein bisschen Spaß mit ihnen haben, bevor er sie ins Jenseits beförderte.
«Ich habe Sie nicht sofort getötet, weil ich noch etwas klarstellen möchte, bevor Sie sterben», sagte Haslinger, als hätte er Trons Gedanken gelesen.
«Und das wäre?»
Haslinger schwenkte den Revolver in Richtung des Glases. «Trinken Sie, Commissario. Dann erzähle ich Ihnen alles. Wenn nicht …» Er spannte den Hahn.
Tron setzte das Glas an die Lippen, nahm einen Schluck (verdammt, warum hatte er nur so einen
großen
Schluck genommen?), und der Rum versengte seinen Mund, lief lodernd seine Speiseröhre hinab und explodierte in seinem Magen. Einen Augenblick rang Tron nach Luft, aber als er schließlich wieder atmen konnte, war die Panik, die an seine Schläfen gehämmert hatte, verschwunden. Zumindest für den Moment konnte er wieder klar denken.
Allerdings wusste Tron auch, dass dieser Effekt nicht lange anhalten würde. Er hatte in den letzten zwölf Stunden viel zu wenig geschlafen und kaum etwas gegessen. Seine Toleranzgrenze in Bezug auf Alkohol lag gefährlich niedrig. Wie viel Zeit würde ihm bleiben? Eine Viertelstunde? Eine halbe Stunde? Natürlich kam alles darauf an, wie viel er vondem Zeug noch trinken musste. Nach dem zweiten Glas würde ihn der Rum ohnehin umhauen wie ein Schlag mit dem Sandsack, und Haslinger konnte sich die Mühe sparen, ihn zu erschießen.
Sollte er sich blitzschnell nach vorne beugen und Haslinger den Kerzenleuchter ins Gesicht stoßen? Oder ihm eins mit der Flasche überziehen, sich dann den Revolver schnappen und anschließend den Hünen, der … Unsinn. Es würde nicht funktionieren. Haslinger würde sich einfach zurücklehnen und lachen. Das war genau das, was er brauchte, um sich zu amüsieren, bevor er abdrückte.
«Was wollen Sie klarstellen?», fragte Tron.
«Dass ich von einem bestimmten Punkt an keine Wahl mehr hatte.»
«Von welchem Punkt an?»
«Nach dem Tod dieses Mädchens.» Haslinger schwieg und starrte das Tischtuch an. Dann sagte er unwirsch: «Ich … wollte den Tod des Mädchens nicht, Commissario. Es war mehr oder weniger ein … Unfall. Aber danach musste ich sie mir vom Hals schaffen. Auf dem Gang sah ich, dass eine Kabinentür offen stand. Zuerst dachte ich, es wäre eine unbenutzte Kabine, aber dann lag ein Toter auf dem Bett. Mit zwei Einschüssen in der Schläfe. Es schien alles so unwirklich, dass ich mich gar nicht gefragt habe, wer den Mann getötet hat. Jedenfalls war diese Kabine der ideale Ort, um die Leiche loszuwerden.»
«Wussten Sie, dass der Hofrat Papiere in seiner Kabine hatte, die Pergen unbedingt haben wollte?»
«Nein.» Haslinger grinste. «Aber Pergen war so töricht, es mir mitzuteilen. Er hat mir genau erklärt, was es mit diesen Unterlagen auf sich hatte. Und dass er erledigt sei, wenn diese Papiere in falsche Hände fallen.»
«Dass Pergen korrupt war, wussten Sie doch, oder?»
«Natürlich. Aber ich kannte keine Einzelheiten, hatte keine Beweise.»
«Und dann wollte Pergen diese Papiere von Ihnen haben. Richtig?»
«So ist es. Pergen hat mir ein Geschäft angeboten. Er deckt mich, und im Gegenzug übergebe ich ihm die Unterlagen.» Haslinger zögerte einen Moment, bevor er weitersprach. «Das hat sich nur leider so angehört, als würde er mich ohne diese Gegenleistung nicht decken. Keine Unterlagen, keine Protektion.»
«Also waren Sie gezwungen, so zu tun, als hätten Sie diese Unterlagen», sagte Tron.
«Was ich auch getan habe. Das Problem war nur, dass ich die Unterlagen gar nicht hatte und Pergen das auch ahnte. Sonst hätte er nicht so intensiv danach gesucht.»
«Sie mussten also damit rechnen,
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