Schnee in Venedig
Atmung wurde hastiger. Dann stöhnte sie kurz und begann zu schluchzen. Sie warf sich nach links und erbrach sich.
Als sie sich umdrehte, war ihr Gesicht kalkweiß. «Wo ist Haslinger?» Die Stimme der Principessa war schwach, aber sie klang so klar wie immer.
«Er ist tot.»
«Und sein Diener?»
«Ebenfalls tot. Sind Sie verletzt?»
Die Principessa schüttelte den Kopf. «Nein. Er hat mich nicht angerührt. Wie haben Sie herausgefunden, dass ich im Palazzo da Mosto bin?»
«Haslinger hat alle Personen, die wussten, dass er das Mädchen auf der
Erzherzog Sigmund
erwürgt hat, getötet.Erst Moosbrugger, dann Moosbruggers Geliebte in Triest und schließlich Pergen.»
«Großer Gott. Auch
Pergen
?»
«Auch Pergen.»
«Also war nur noch ich übrig.»
Tron nickte. «Das war mir spätestens klar, als Pergen tot war. Als ich erfahren habe, dass eine angebliche Gondel des Palazzo Tron Sie abgeholt hat, wusste ich, dass Sie in Haslingers Gewalt waren.»
«Warum sind Sie allein hier?»
«Das ist eine lange Geschichte. Vielleicht sollten wir lieber verschwinden. Können Sie gehen?»
«Ich denke schon.»
Es waren genau fünf Schritte bis zur Tür. Tron schaffte sie mit zusammengebissenen Zähnen. Dann humpelte er weiter, aber in der Mitte des Flurs wurde der Schmerz in seiner Brust so stark, dass er stehen bleiben musste. In diesem Augenblick spürte Tron, wie die Principessa an seiner Seite erstarrte. Als Tron aufblickte, sah er den Mann auf dem Treppenabsatz.
Das ist das Erste, was Tron registriert: Ein Mann steht auf dem Treppenabsatz und hat einen Revolver in der Hand. Der Mann scheint zu grinsen, aber die entblößten Zähne und die nach oben gebogenen Mundwinkel sind nicht zwangsläufig mimischen Ursprungs – der Ausdruck kann auch dadurch zustande kommen, dass Teile seines Gesichts verbrannt sind.
Und nun geschieht alles gleichzeitig oder so schnell hintereinander, dass Tron nicht mehr in der Lage ist, die Geschehnisse voneinander zu trennen. Aus den Augenwinkeln sieht er, dass die Principessa sich von seiner Seite löst. Ihr Körper wirft sich nach vorne, scheint mit Haslinger zusammenzuprallen.Tron hört den Schuss und riecht wieder den scharfen Pulvergeruch. Die Kugel durchschlägt seinen linken Arm, lässt ihn um seine eigene Achse rotieren und wirft ihn um. Ein zweiter Schuss fällt, und Tron sieht, wie sich die Principessa aufbäumt und nach hinten geschleudert wird. Irgendetwas fällt polternd zu Boden.
Tron weiß, dass sich die kleine Zeitspanne, die dem Tod unmittelbar vorausgeht, fast unbegrenzt dehnen kann, insofern verwundert es ihn nicht, dass die Bewegungen, mit denen Haslinger auf ihn zukommt, so langsam sind. Anstelle des Revolvers hält er jetzt einen Degen in der Hand. Die Degenspitze streicht über Trons Bauch, streift sein Herz, pendelt unschlüssig über seiner Kehle. Dann kommt sie über Trons rechtem Auge zur Ruhe. Tron schließt die Augen. Er versucht, seinen Kopf zu drehen, stößt aber gegen die Wand. Jetzt kann er nur noch hoffen, dass es schnell geht.
Im Rückblick schien alles viel länger gedauert zu haben, aber tatsächlich waren es nur ein paar Sekunden gewesen, in denen sich Haslinger noch auf den Beinen hielt. Der Schuss traf ihn von hinten in die Schläfe und trat unterhalb des einen Auges, das ihm noch geblieben war, wieder aus. Seine linke Wange explodierte, und ein Regen aus Blut und Knochensplittern ergoss sich auf Tron. Die Wucht des Geschosses schleuderte Haslingers Kinn auf seine Brust. Er fiel auf die Knie, breitete die Arme aus und ähnelte einen Augenblick lang einem leidenschaftlichen Freier, der einen theatralischen Heiratsantrag macht. Dann fielen seine Arme herab, und er stürzte auf die Seite, direkt vor die Füße der Principessa, die jetzt breitbeinig neben ihm stand. Sie hielt den Revolver in der rechten Hand, ihre linke umschloss das Handgelenk des Waffenarms. Siewar bereit, bei der geringsten Bewegung Haslingers erneut zu feuern.
Aber Haslinger rührte sich nicht. Ein Mann, dem ein Geschoss die Schläfe zerfetzt und ein faustgroßes Loch in die Wange gerissen hat, lebt nicht mehr.
Und dann verlor Tron das Bewusstsein. Es war keine plötzliche Ohnmacht, sondern eher ein langsames Weggleiten in ein Schattenreich, während die Principessa seine Hand hielt und immer wieder seinen Vornamen rief.
59
Von Zeit zu Zeit tauchte er aus der Dunkelheit auf, die ihn umgab, aber dann kamen sofort die Schmerzen, sodass er es vorzog, in die
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