Schnee in Venedig
sprudelte über sein Gesicht wie Wasser aus einem Hydranten, und einen Augenblick lang war er vollständig blind. Er ging zu Boden, wälzte sich keuchend zur Seite, um dem zweiten Schlag zu entgehen.Aber auch diesmal war er zu langsam. An seiner rechten Seite explodierte der Schmerz, als der Leib der Jungfrau ihm drei Rippen brach. Tron versuchte sich aufzurichten, stieß mit den verletzten Rippen gegen den Stuhl und fiel auf die Seite. Der nächste Schlag zerschmetterte sein rechtes Schlüsselbein mit einem Geräusch wie splitterndes Sperrholz. Tron schrie. Er kroch reflexartig weiter. Blut lief in seine Augen, und er musste blinzeln, um etwas erkennen zu können.
In diesem Augenblick sah er den Revolver. Die Waffe lag eine Armeslänge von ihm entfernt auf dem Terrazzofußboden, halb versteckt unter der Tischdecke. Tron streckte die Hand aus und erwischte den Revolver am Kolben. Dann drehte er sich mit letzter Kraft auf den Rücken, riss die Waffe hoch und zog den Abzug durch, ohne zu zielen.
Das Krachen in dem holzgetäfelten Raum war ohrenbetäubend. Die Detonation versetzte die Kerzen in hektisches Flackern, so als hätte jemand plötzlich die Fenster geöffnet. Beißender Pulvergeruch breitete sich aus. Die Kugel hatte den Riesen in die Brust getroffen und ließ ihn mitten in der Bewegung erstarren, so als wäre er auf ein unsichtbares Hindernis gestoßen. Dann taumelte er mit rudernden Armbewegungen nach vorn, und Tron musste einen Augenblick lang an einen Nichtschwimmer denken, der vergeblich versucht, über Wasser zu bleiben. Schließlich stürzte der Riese krachend auf den Rücken. Der Aufprall seines Körpers erschütterte den Raum, schickte eine Schockwelle durch die Luft und brachte die Kerzen ein weiteres Mal zum Flackern. Seine Augen hefteten sich starr auf die Decke der
sala
und bewegten sich nicht mehr – würden sich nie wieder bewegen. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck der Verwunderung.
Da Tron keine Kraft mehr hatte aufzustehen, kroch er langsam zur Tür. Im Treppenhaus kam er auf die Beine, indem er seinen Rücken gegen die Wand stemmte und sich hochstieß. Sein Atem ging rasselnd, und er hielt den Kopf gesenkt. Dann übergab er sich. Es war ein würgendes Erbrechen, das seinen ganzen Körper in Wellen verkrampfte und jedes Mal einen stechenden Schmerz durch seinen Brustkorb schickte.
Danach fühlte Tron sich besser. Zwar schmerzten seine gebrochenen Rippen noch genauso wie vorher, doch sein Kopf schien klarer zu sein. Tron hoffte, dass sein Magen auch einen Teil des Alkohols von sich gegeben hatte.
Er hinkte zur Treppe und begann mühsam, die Stufen emporzusteigen. Nach einer Zeitspanne, die ihm wie eine Ewigkeit erschien, hatte er das Ende der Treppe erreicht und befand sich in einer langen, von einer Ampel schwach erleuchteten Galerie, deren Wände mit einer Waffensammlung bedeckt waren. Tron war klar, dass er sich im dritten Stock des Palastes befand, aber die Galerie wirkte wie ein Stollen eines Bergwerks, der jahrhundertelang verschüttet gewesen war. Wenn der Schrei, den er gehört hatte, aus einem Raum direkt über ihm gekommen war, musste die Principessa auf der rechten Seite der Galerie sein. Tron hinkte zur ersten Tür rechts und drückte die Klinke hinunter.
58
Tron stand in einem fensterlosen Raum, dessen Wände vollständig von Spiegeln bedeckt waren. Alle Spiegel hatten goldene Rahmen mit zierlich gearbeiteten Blumengirlanden, die zum Teil in die Spiegelfläche hineinreichten, sodasses aussah, als würden goldene Schlingpflanzen die Spiegel überwuchern.
Das einzige Möbelstück in diesem Raum war ein breites, mit rotem Samt gepolstertes Bett. Die Principessa lag auf dem Rücken, die Hand- und Fußgelenke an die Pfosten gefesselt. Sie drehte ihren Kopf zur Tür, als Tron den Raum betrat, konnte aber nichts erkennen, weil die obere Hälfte ihres Gesichts mit einer Maske bedeckt war. Tron sah, wie sie sich kurz aufbäumte und dann kraftlos auf das Bett zurückfiel.
«Principessa?»
Der Kopf der Principessa bewegte sich in die Richtung, aus der Tron gesprochen hatte. «Wer sind Sie?»
«Commissario Tron.» Er hinkte zum Kopfende des Bettes, entfernte die Maske und löste die Stricke, mit denen die Principessa gefesselt war. Seine Rippen schmerzten bei jeder Bewegung. Etwas Spitzes stach in seinen linken Lungenflügel und hinderte ihn daran, durchzuatmen.
Die Principessa hatte ihre Augen noch nicht geöffnet. Ihr Brustkorb hob und senkte sich immer schneller, und ihre
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