Schnee in Venedig
vernehmen.Und Offiziere schon gar nicht. Der Leutnant wird sich weigern, mit mir zu sprechen.»
Die Principessa überlegte einen Moment. Dann sagte sie: «Ich kann Ihnen ein paar Zeilen an Generalleutnant Palffy mitgeben.»
«Generalleutnant Palffy?»
«Der Chef der kroatischen Jäger. Wir sind miteinander bekannt. Der Generalleutnant könnte diesen Grillparzer anweisen, mit Ihnen zu sprechen.»
Offenbar ging die Principessa davon aus, dass ein paar Zeilen aus ihrer Feder genügten, um diesen Palffy nach ihrem Willen zu beeinflussen. Tron fragte sich, was für eine Art von Bekanntschaft zwischen ihnen existieren mochte. Und er fragte sich, warum die Principessa wollte, dass er die Ermittlungen fortsetzte.
Er schüttelte den Kopf. «Wenn ich mit Grillparzer rede, wird Oberst Pergen davon erfahren. Das kann ich nicht tun.»
Die Principessa winkte ab. «Natürlich können Sie das, Commissario. Und ich weiß, dass Sie es tun werden», fügte sie energisch hinzu.
Tron musste lächeln. «Was macht Sie da so sicher?»
Diesmal erwiderte die Principessa sein Lächeln. Ihr Lächeln machte sie so schön, dass es Tron einen Augenblick lang den Atem raubte. Ihre Hand, sanft wie der herabrieselnde Schnee, berührte seinen Arm. «Weil es Sie mehr gestört hat, dass Pergen Ihnen die Ermittlungen entzogen hat, als Sie zugeben. Und weil mir irgendetwas sagt, dass ein Mann wie Sie so etwas nicht einfach hinnimmt.» Ernst fügte sie hinzu: «Besuchen Sie mich morgen Nachmittag und berichten Sie mir von Ihrem Gespräch mit dem Generalleutnant.»
Wie? Hatte sie tatsächlich gesagt:
Besuchen Sie mich morgen Nachmittag
?
Tron musste über seine Antwort nicht lange nachdenken. «Ich gehe gleich dort vorbei», sagte er.
Eine halbe Stunde später (die Principessa hatte ihren Ring tatsächlich gefunden und ein paar Zeilen an den Generalleutnant geschrieben) standen sie wieder am Ende der Gangway. Es hatte aufgehört zu schneien, aber von der Lagune her war ein Wind aufgekommen, der den Schnee auf dem Deck der
Erzherzog Sigmund
verwirbelte. Die Principessa hatte die Hände tief in den Taschen ihres Mantels vergraben. Den Kopf hielt sie gesenkt, sodass Tron ihre Augen nicht erkennen konnte.
«Passt es Ihnen um fünf, Commissario?»
Tron verneigte sich. «Principessa?»
«Ja?»
«Warum wollen Sie, dass ich die Ermittlungen fortsetze?»
Die Principessa stieß die Luft aus, als hätte sie lange Zeit den Atem angehalten. Einen Augenblick schaute sie Tron einfach nur an. Schließlich sagte sie: «Warum machen
Sie
weiter, Commissario? Warum gehen Sie jetzt zu Palffy?»
Dann drehte sie sich auf dem Absatz um, ohne auf eine Antwort zu warten. Tron sah, wie sie die Gangway hinunterlief und sich auf der Riva degli Schiavoni nach links wandte. Sie hinterließ eine Reihe kleiner Fußstapfen im Schnee, und hinter dem Ponte della Paglia verlor Tron sie aus den Augen.
10
Der unversiegelte Umschlag mit dem Brief der Principessa an Generalleutnant Palffy steckte in der Innentasche von Trons Gehrock und knisterte verlockend, als er die Riva degli Schiavoni betrat. Da Tron das Briefgeheimnis heilig war, hatte er nicht die Absicht, den Brief zu lesen – auch wenn er wahrscheinlich wichtige Aufschlüsse über das Verhältnis der Principessa zu Generalleutnant Palffy geben konnte.
Kurz hinter dem Ponte della Paglia kam Tron zu der Überzeugung, dass unter bestimmten Umständen das Briefgeheimnis nur für
versiegelte
Umschläge galt. Also trat er unter die Arkaden des Palazzo Ducale und las, was die Principessa an Palffy geschrieben hatte. Immerhin ging es um die Aufklärung eines Doppelmordes.
Die Zeilen der Principessa bestätigten seine Befürchtung. Die Principessa und der Generalleutnant standen auf vertrautem Fuß miteinander. Sie schrieb:
Lieber Palffy,
bitte vermitteln Sie ein Gespräch zwischen Commissario Tron und Leutnant Grillparzer. Es geht um ein Verbrechen, das sich heute Nacht auf einem Lloydschiff ereignet hat.
Commissario Tron sagt Ihnen, warum Oberst Pergen nichts davon erfahren darf.
Sehe ich Sie morgen Abend bei den Contarinis?
Maria Montalcino
Missbrauchte ihn die Principessa womöglich als Postillon d’Amour? Einen fürchterlichen Augenblick lang sah er den Generalleutnant vor sich: groß gewachsen und schlank, mit schneidigem Schnurrbart und blitzendem Blick – ein uniformierter Salonlöwe.
Zwanzig Minuten später bat der Ordonnanzoffizier, dem Tron zuvor den Brief der Principessa übergeben hatte, ihn
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