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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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in das Büro des Generalleutnants. Als Tron ihn sah, hätte er fast erleichtert aufgelacht.
    Generalleutnant Palffy war eindeutig kein Salonlöwe, sondern ein großer, hagerer Mann, den Tron auf Ende sechzig schätzte. Sein Schädel war oben kahl und wurde eingerahmt von zwei großen, weit abstehenden Ohren, die sich wölbten wie zwei kleine Segel. Man hätte Palffy für eine komische Figur halten können, wären da nicht seine Augen gewesen, die Intelligenz und Humor versprühten und Tron neugierig musterten.
    Palffy rückte einen Bugholzstuhl (auf dem eine Katze gesessen hatte) heran und wartete höflich, bis Tron saß, bevor er sich selber auf der anderen Seite des Schreibtisches niederließ. Dann sagte er ohne Einleitung und in einem Ton, als hätten sie sich bereits eine Weile unterhalten: «Lesen Sie die
Stampa
, Commissario?» Palffys Italienisch war fließend, seine Stimme warm und kultiviert. Er wies mit der Hand auf eine italienische Zeitung, die vor ihm auf dem Tisch lag. Offenbar hatte er eben darin gelesen.
    Die
Stampa
war eine Turiner Tageszeitung. Sie durfte im österreichischen Venedig weder verkauft noch über die Grenze gebracht werden. Natürlich wusste Palffy das. Tron fragte sich, was der Generalleutnant von ihm erwartete.
    «Die
Stampa di Torino
steht auf dem Index, Herr Generalleutnant», sagte er vorsichtig. «Wir sind gehalten, alle Exemplare zu konfiszieren.»
    «Was häufig vorkommt?»
    «Es ist erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit man in den Cafés an der Piazza eingeschmuggelte Exemplare verbotener auswärtiger Zeitungen liest.»
    «Wo Ihre Leute sie dann konfiszieren?»
    «Auf der Stelle.»
    «Was geschieht mit den konfiszierten Exemplaren?»
    «Sie werden abends in die Questura gebracht.»
    «Um dort von Ihnen gelesen zu werden?» Plötzlich lächelte Palffy. Es war ein ungezwungenes, offenes Lächeln. Tron stellte fest, dass ihm der Generalleutnant sympathisch war.
    «Im Rahmen meiner amtlichen Informationspflicht», sagte Tron. Er lächelte ebenfalls.
    «Haben Sie die
Stampa
vom Freitag gelesen?»
    Tron schüttelte den Kopf. «Noch nicht, Herr Generalleutnant.»
    «Garibaldi ist auf seiner Rundreise durch die Lombardei in der letzten Woche vom Bischof von Cremona empfangen worden», sagte Palffy nachdenklich. «Er hält überall feurige Reden, und das Publikum antwortet begeistert mit der Losung
Roma e Venezia
.» Er hielt einen Moment inne. «Meinen Sie, er wird uns angreifen?»
    «Er kann höchstens ein paar hundert Mann auf die Beine stellen.»
    «Sizilien hat er mit tausend Mann erobert. Die andere Seite hatte dreißigtausend Soldaten», entgegnete Palffy.
    «Venedig ist nicht Palermo. Und die kaiserliche Armee ist nicht zu vergleichen mit der Armee des Königs beider Sizilien. Das weiß Garibaldi. Außerdem bräuchte er die Unterstützung Turins. Die er nicht bekommen dürfte.»
    «Was sagen die Venezianer zu Garibaldis Reise durch die Lombardei?»
    Tron wählte eine diplomatische Formulierung. «Es besteht eine gewisse Neigung, sich dem neuen italienischen Königreich anzugliedern.»
    «Bei Ihnen auch? Sie können offen reden, Commissario.»
    Eigenartigerweise hatte Tron tatsächlich das Gefühl, dasser offen reden konnte. «Wir würden die Abhängigkeit von Österreich gegen die Abhängigkeit von Turin eintauschen.»
    «Und die Volksentscheide? In Sizilien und Neapel? Sind das keine Bekenntnisse zur italienischen Einheit?»
    «Sie sind eine Absage an die alten Verhältnisse, aber keine Liebeserklärung an Turin», sagte Tron.
    «Ohne Turin gibt es keine politische Einheit Italiens.»
    «Vielleicht. Aber wenn wir Italien angegliedert werden, wird das Veneto von einem Turiner Präfekten verwaltet und der Bürgermeister von Venedig vom König ernannt.»
    «Sie meinen die Oktoberdekrete?»
    Tron nickte. «Ein klarer Rückschritt, verglichen mit der Verwaltungsreform Maria Theresias. Es wird nichts mehr geben, was die Gemeinden selbständig entscheiden dürfen.»
    «Sie sprechen nicht wie ein italienischer Patriot, Commissario.» Der Generalleutnant lächelte wieder. «Aber ich nehme nicht an, dass Sie hier sind, um über Politik zu reden. Die Principessa schreibt, dass Sie mit Leutnant Grillparzer sprechen möchten.»
    «Ist er im Haus?»
    «Nein.» Palffys Gesicht wurde ernst. «Was war los auf dem Schiff?»
    Tron setzte ihn ins Bild. Er erwähnte auch, aus welchen Gründen Pergen ihm den Fall entzogen hatte.
    «Und was möchten Sie von Leutnant Grillparzer wissen,

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