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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Tron schließen ließ, waren Hinterhofcasinos mit zwei oder drei Spieltischen und Sägespänen auf dem Fußboden. Das fünfte illegale Casino wurde von einem ehemaligen Rittmeister der Linzer Dragoner im Ballsaal des Palazzo Duodo betrieben. Dort arbeiteten die Croupiers im Frack.
    In diese Kategorie gehörte eindeutig auch das
Casino Molin
, denn der livrierte Diener, der den Gästen im Vestibül aus den Mänteln half, warf einen skeptischen Blick auf Trons abgewetzten Gehrock. Ein hagerer, elegant gekleideter Herr, der vor der Garderobe stand und Tron vage bekannt vorkam, musterte ihn ebenfalls misstrauisch.
    Im Ballsaal stellte Tron fest, dass er selbst in einem Gehrock aufgefallen wäre, der weniger schäbig aussah als seiner. Die Herren waren entweder im Frack oder in Uniform gekommen, falls sie es nicht vorgezogen hatten, in Kostümen des
Settecento
zu erscheinen. In diesem Fall trugen sie Kniebundhosen und zierliche Degen an der Seite, die Damen in ihrer Begleitung Contouches und seidene Reifröcke – offenbar hatten viele Gäste die Absicht, sich nach dem Besuch des Casinos auf einem der zahlreichen Maskenbälle zu vergnügen.
    Der Ballsaal des
Casino Molin
war deutlich größer als der Ballsaal des Palazzo Tron. Wer immer dieses Casino betrieb – er hatte bei der Renovierung an nichts gespart. Die Wände waren mit Feldern von zinnoberroter Seide bezogen, die von schmalen Goldleisten umrahmt wurden. In jedem der Felder war – auf Spiegeln aus getriebenem Messing – ein halbes Dutzend Kandelaber befestigt. Das Kerzenlicht der Kandelaber brachte das Gold der Leisten zum Leuchten, und das Glühen des Goldes und der zinnoberroten Seide ließ all die lachenden Gesichter und glänzenden Roben noch prächtiger erscheinen.
    Tron warf einen Blick in die Menge und schätzte, dass sich vielleicht hundertfünfzig Personen im Ballsaal des
Casino Molin
versammelt hatten. Die Gäste standen in lockeren Gruppen zusammen oder drängten sich um die fünf Roulettetische, die im Saal aufgestellt waren. Vier Schritte vor ihm sah Tron die Gräfin Wetzlar auf den Fürsten Schwarzenberg einreden. Hinter ihnen stand der preußische Konsul Graf Bülow im Gespräch mit einem kahlköpfigen Offizier, der seiner Uniform nach ein Generaloberst der Innsbrucker Kaiserjäger sein musste. Der Konsul schien gerade einen Witz erzählt zu haben, denn der Generaloberst brach in brüllendes Gelächter aus. Erstaunlich, dachte Tron, mit welcher Unbefangenheit sich die Herren in einem Casino zeigten, von dem sie wissen mussten, dass es illegal betrieben wurde.
    Zwei Minuten später hatte Tron Leutnant Grillparzer an einem der Roulettetische entdeckt. Der Leutnant war in die weiße Abenduniform der kroatischen Jäger gekleidet, unddas kleine Muttermal über dem linken Auge machte es leicht, ihn zu identifizieren. Ansonsten entsprach Leutnant Grillparzer der Klischeevorstellung eines kaiserlichen Offiziers: Er hatte breite Schultern, ein gut geschnittenes Gesicht und einen unternehmungslustigen Schnurrbart. Wahrscheinlich war Grillparzer, vermutete Tron, auch ein guter Tänzer.
    Der Leutnant saß zwischen zwei Herren im Frack, und vor ihm stapelten sich die gewonnenen Jetons. Offenbar hielt seine Gewinnsträhne noch an, denn jedes Mal, wenn die Kugel zur Ruhe kam, glitt der Rechen des Croupiers über den Filz und schob Grillparzer weitere Jetons zu.
    Plötzlich kam Tron sich albern vor. Hatte er wirklich die Absicht, Grillparzer mitzuteilen, dass sein Onkel ermordet worden war? Jetzt, in diesem Augenblick, wo sich der Leutnant mitten in einer Glückssträhne befand? Wenn Tron ihn jetzt ansprach, würde es keine Minute dauern, bis man ihn, Tron, aus dem Casino werfen würde. Außerdem hätte der Leutnant morgen früh nichts Besseres zu tun, als sich bei Pergen zu beschweren, der sich seinerseits sofort bei Spaur beschweren würde. Die ganze Situation war absurd und peinlich – genauso peinlich wie ein schäbiger Gehrock unter all den eleganten Gesellschaftsanzügen.
    In diesem Moment berührte ihn jemand an der Schulter, und eine höfliche, aber energische Stimme sagte: «Die Casinoleitung würde Sie gerne sprechen, Signore.»
    Tron drehte sich um und sah, dass die Stimme einem breitschultrigen Mann gehörte, der den blasierten Gesichtsausdruck eines Kellners im
Danieli
hatte. Einen Moment war Tron irritiert. «Wer will mich sprechen?»
    «Die Casinoleitung. Ich muss Sie bitten, mir zu folgen, Signore», sagte der Mann.
    Ein zweiter Angestellter

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