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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Patriarcale
neben der Salute besucht hatte, inzwischen fast vierzig Jahre zurücklagen. Damals hatte es die gusseiserne Brücke noch nicht gegeben, die jetzt Dorsoduro mit San Marco verband, ganz zu schweigen, dachte Tron seufzend, von solchen Dingen wie Eisenbahnen, Dampfschiffen und Gasbeleuchtungen – alles Erfindungen, die er im Grunde seines Herzens für überflüssig hielt.
    Am Rand des Campo San Vio, auf dem eine einsame Pinie stand, deren Zweige sich unter der Last des Schnees nach unten senkten, blieb Tron stehen, um noch einmal zu rekapitulieren, was er über die Principessa wusste. Er musste sich eingestehen, dass es nicht sehr viel war – seltsam in einer Stadt wie Venedig, in der niemand vom Klatsch verschont blieb, schon gar nicht eine junge Witwe, die so reich und so attraktiv war wie die Principessa di Montalcino. Lag es an der Aura frostiger Unnahbarkeit, die sie umgab? Eine Aura, spekulierte Tron weiter, die sie vielleicht nur deshalb kultivierte, weil sich dahinter etwas ganz anderes verbarg? Oder war sie tatsächlich nur eine energische junge Frau, die mit beträchtlichem Erfolg die Geschäfte ihres verstorbenen Gatten weiterführte und darin ihren Lebensinhalt sah? Tron wusste es nicht. Er war sich noch nicht einmal darüber im Klaren, woher die Principessa ursprünglich kam. Stammte sie wirklich aus Florenz? Ihr lupenreines Toskanisch deutete auf eine Herkunft aus der Toskana (und eine sorgfältige Erziehung) hin, aber irgendetwassagte Tron, dass ihr Toskanisch einfach
zu
makellos war, um echt zu sein.
    Er blickte auf, als zwei Möwen schreiend eine Pirouette über seinem Kopf drehten und dann über dem Campo kreisten, unschlüssig, wo sie sich niederlassen sollten, vielleicht weil die Schneedecke sie verwirrte, die seit gestern auf den Dächern und den Gassen der Stadt lag. Ein Windstoß fegte über den Campo San Vio, wirbelte Schnee zu Trons Füßen auf und hätte fast seinen Zylinderhut vom Kopf geweht. Mit der linken Hand schlug er den Kragen seines Gehpelzes hoch, die rechte legte er im Weitergehen vorsichtshalber auf die Krempe seines Zylinders.
    Zweihundert Meter weiter, hinter der kleinen Brücke, die den Rio San Vio überquerte, lag der Hintereingang des Palazzo Contarini del Zaffo, und natürlich täuschte die unscheinbare Pforte den Besucher über die wahren Ausmaße des Palazzos, den die Principessa bewohnte.
    Tron zog den eisernen Klingelzug herunter und hörte im Inneren des Gebäudes eine Glocke anschlagen. Kurz darauf öffnete ein junger Mann die Tür, der wie der Kommis einer Haushaltswarenhandlung gekleidet war. «Sie wünschen?» Der Blick, mit dem er Tron musterte, besagte, dass er Wichtigeres zu tun hatte, als Besuchern die Tür zu öffnen.
    «Buon giorno»,
sagte Tron. «Commissario Tron. Ich bin mit der Principessa verabredet.»
    Die Miene des Kommis wurde schlagartig beflissen. Er verneigte sich sogar. «Verzeihung. Wenn Sie mir bitte folgen würden, Commissario.»
    Der Kommis ging voraus, und Tron folgte ihm durch einen Flur. Dann gelangten sie wieder ins Freie, liefen über einen gepflasterten Innenhof, auf dem sich große Kisten stapelten, und betraten den eigentlichen Palazzo, dessen Vorderfront am Canal Grande lag. Sie durchquerten einKontor, das voller Schreibtische stand, an denen Angestellte saßen und Akten bearbeiteten. Am Ende des Kontors öffnete der Kommis eine Tür und trat zur Seite, um Tron in einen Raum zu lassen, bei dem es sich offenbar um das Büro der Principessa handelte.
    «Wenn Sie bitte warten würden, Commissario.»
    Der Raum war nicht viel größer als der Salon der Contessa. Eine Wand wurde von Aktenschränken eingenommen, die übrigen Wände bedeckten Bilder. Tron erkannte eine Kopie von Tizians
Ländlichem Konzert
, daneben hing eine Kopie der
Himmlischen und der irdischen Liebe
, die Tron vor Jahren in der Villa Farnese in Rom gesehen hatte. Bei den restlichen Gemälden handelte es sich vermutlich um Originale. Zwei größere Gemälde – eines zeigte eine
Sacra Conversazione
, das andere einen Herrn und eine Dame an einem Brunnen – schienen von Palma Vecchio zu stammen und erinnerten Tron an zwei Palma Vecchios, die noch in seiner Kindheit im Salon seiner Mutter gehangen hatten, aber irgendwann in den zwanziger Jahren verkauft worden waren.
    Die Mitte des Raumes nahm ein riesiger Refektoriumstisch ein, den die Principessa offenbar als Schreibtisch benutzte. Tron erkannte amüsiert einen Eingangs- und einen Ausgangskorb – genau so wie

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