Schnee in Venedig
Hofrats bei mir auftauchen sollten.»
«Er hat nicht zugegeben, dass es seine Leute waren, die Ihre Wohnung verwüstet haben, oder?»
«Nein. Aber er hat gefragt, ob ich einen Arzt brauche, und mir dann Geld angeboten. Es wird nicht ausreichen, das Cello zu ersetzen, aber es ist besser als gar nichts.»
«Hat er Ihnen gesagt, dass er den Mörder des Hofrats gefasst hat?»
«Wollen Sie damit sagen, dass der Fall aufgeklärt ist?»
Tron schüttelte den Kopf. «Wahrscheinlich nicht, aber das wird Oberst Pergen anders sehen. Wie haben Sie von dem Mord erfahren?»
«Ich bin zum Lloydanleger gelaufen, als der Hofrat am Montagabend nicht gekommen ist – ich hatte ihn ja erst für Montag erwartet. Aber da lag nur die
Prinzessin Gisela
, und niemand konnte mir etwas sagen. Das wenige, das ich über den Mord erfahren habe, hat mir der Portier vom
Danieli-
Hotel erzählt. Der hat mir auch gesagt, dass die Militärpolizei ermittelt.»
«Auch dass in der Kabine des Hofrats die Leiche einer jungen Frau gefunden worden ist?»
Ballani hob ruckartig seinen Kopf. «Die
was
, bitte?»
«Die Leiche einer jungen Frau.»
«Nein, das wusste ich nicht. Wer ist diese Frau gewesen?»
«Eine Prostituierte. Offenbar hat der Hofrat sie in Triest am Hafen kennen gelernt und mit auf seine Kabine genommen.»
«Das ist völlig ausgeschlossen», sagte Ballani. «Der Hofrat machte sich nichts aus Frauen.»
«Woher wissen Sie das so genau?»
Trotz seiner geschwollenen Oberlippe lächelte Ballani. «Ich kenne den Hofrat seit vier Jahren.»
«Sie waren befreundet?», fragte Tron, bemüht, seine Frage beiläufig klingen zu lassen.
Ballani zog als Antwort eine Schulter hoch. Nach einer kleinen Pause sagte er, ohne Tron anzusehen: «Ich war Cellist im Fenice.»
«Man hat Sie entlassen?»
Ballani nickte.
«Und warum?»
«Ein Bruder von mir ist mit Garibaldi nach Sizilien gegangen. Und ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich seine politischen Ansichten teile.»
Tron schüttelte den Kopf. «Es ist noch nie jemand aus politischen Gründen aus dem Orchester des Fenice entlassen worden, Signor Ballani.»
Ballani seufzte. «Gut, das war nicht der eigentliche Grund.»
«Und was war der eigentlich Grund?»
«Der Intendant des Fenice hat mir … Avancen gemacht.»
«Conte Manin?»
Ballani nickte. «Er hat mich regelrecht erpresst, dieses Schwein, und als ich nicht darauf eingegangen bin, hat er mich gefeuert. Unter dem Vorwand politischer Unzuverlässigkeit.» Er unterbrach sich, um den Lappen auf seinem Augeumzudrehen. «Einen Monat später habe ich Leopold auf der Piazza kennen gelernt. Wir haben uns von Anfang an gut verstanden.» Mit betont neutraler Stimme fügte er hinzu: «Ich war völlig abgebrannt, und er ist sehr großzügig zu mir gewesen.» Ballani dachte kurz nach. «Sind Sie sicher, dass es sich in der Kabine Leopolds wirklich um eine Frau gehandelt hat und nicht um …» Er zögerte, bevor er weitersprach. «Der Hofrat hatte diese Vorliebe für junge Männer, die …» Wieder zog er es vor, den Satz nicht zu vollenden.
Tron nickte. «
Ganz
sicher. Ich habe sie selber gesehen. Die Frau war nackt.»
Ballani schürzte nachdenklich die Lippen. Er schien über irgendetwas zu grübeln, und Tron hielt es für klüger, ihn nicht dabei zu unterbrechen. Nach einer Weile sagte Ballani: «Dürfen Sie mir verraten, aus welchen Gründen Oberst Pergen Sie von dem Fall abgezogen hat, Commissario?»
Tron entschloss sich, Ballani die Wahrheit zu sagen. «Weil es sich um einen politischen Fall handelt. Die Papiere, die der Hofrat in seiner Kabine hatte, sollen ein Attentat auf die Kaiserin betreffen.»
Ballani drehte seinen Kopf nach links und richtete sein gesundes Auge auf Tron. Aus dem Lappen, den er immer noch auf sein blaues Auge gepresst hielt, tropfte etwas Wasser und lief seine Wange herunter wie eine Träne. Dann verzog er seinen Mund mit der geschwollenen Oberlippe zu einer Grimasse, die wahrscheinlich ein zynisches Lächeln sein sollte. Er sagte: «Das ist Unsinn, Commissario. Es sind genau dieselben Papiere von der
Erzherzog Sigmund
verschwunden, die Pergen bei mir gesucht hat. Und die haben mit Politik nicht das Geringste zu tun.»
«Und womit sonst?»
«Erinnern Sie sich an den Selbstmord von Feldmarschallleutnant Baron Eynatten?»
«Dem Chef des Heeresversorgungswesens?»
Ballani nickte. «Er hat in der Untersuchungshaft Selbstmord verübt. Es ging um Unregelmäßigkeiten beim Nachschub für die
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