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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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unterschrieben hat, wecken lassen – oder wollten sie wecken lassen, was sich aber deshalb als unmöglich herausgestellt hat, weil – großer Gott – die Kaiserin verschwunden ist, folglich entführt, und jeden Augenblick wird Toggenburg eintreffen, denn niemand außer ihm kann in einer solchen Situation die Verantwortung übernehmen.
    Elisabeth sagt mit einer Stimme, die vielleicht deshalb so ruhig ist, weil es nicht ihre eigene ist: «Ich glaube nicht, dass ich Sie begleiten werde, Leutnant.»
    Eigentlich müssten die beiden Sergeanten sie jetzt abführen und auf die Wachstube bringen, aber sie tun es nicht. Siestehen einfach nur da und warten ab. Und der Leutnant, der jetzt den Befehl geben müsste, sie auf die Wache zu bringen, steht ebenfalls nur da.
    Das ist ein guter Anfang, und als Elisabeth weiterspricht, klingt ihre Stimme fest und sicher. Sie spricht im Alt der Hohenembs, mit der sie sich in diesem Augenblick vollständig identifiziert: gute Freundin der Kaiserin, seit einer Woche zu Besuch, eben mal kurz vor die Tür, um Luft zu schnappen.
    «Ich glaube, Sie werden einen Blick in meine Legitimation werfen», sagt sie, «und sich anderen kriegerischen Aufgaben zuwenden, es sei denn, Sie halten meinen Aufenthalt an diesem Ort nicht für sicher. In diesem Fall dürfen Sie mich mit Ihren Männern bis auf die Piazzetta begleiten.» Ein kühles, arrogantes Lächeln auf den Leutnant herab, dann ohne Pause weiter. «Ich wollte ein paar Schritte vor die Tür, um den Mond zu betrachten, und habe mich gefragt, ob ich oben im dritten Stock mein Licht angelassen habe. Im Übrigen wird Ihre Kaiserliche Hoheit es zu schätzen wissen, wie sehr man um Dero Sicherheit besorgt ist.»
    Elisabeth hat zügig gesprochen, aber nicht schnell. Die Wattekügelchen in ihrem Mund haben eine Position gefunden, die es ihr ermöglicht, mühelos zu artikulieren. Während des Sprechens hat sie den Passierschein aus der Tasche ihres Mantels gezogen und ihn dem Leutnant gereicht. Der hält ihn sich tatsächlich vor die Nase und studiert ihn sorgfältig im Mondlicht. Jetzt kann Elisabeth beobachten, welche Wirkung der unerwartete Anblick des kaiserlichen Wappens in den niederen Rängen der kaiserlichen Armee entfaltet. Zuerst wandern die Augenbrauen des Leutnants nach oben, dann spiegelt sich Ratlosigkeit in seinen Zügen, schließlich offene Bestürzung.
    «Gräfin Hohenembs?»
    Elisabeth nickt ungnädig, denn die Frage ist überflüssig, ihr Name steht in den Papieren, die der Leutnant eben gelesen hat.
    «Durchlaucht sind Gast im Palazzo Reale?»
    «So ist es», sagt Elisabeth. «Wie Sie sehen, hat Ihre Majestät diesen Passierschein mit eigener Hand unterschrieben. Wie ist Ihr Name, Herr Leutnant?»
    «Kovac, Durchlaucht. Zweites kroatisches Jägerregiment.»
    «Würden Sie mir verraten, was das alles zu bedeuten hat, Leutnant Kovac?»
    «Der Stadtkommandant hat eine erhöhte Sicherheitsstufe für den Palazzo Reale angeordnet, Durchlaucht.»
    «Gibt es einen besonderen Grund dafür?»
    «Nein, Durchlaucht. Es ist üblich, dass sich die Sicherheitsstufen hin und wieder ändern. Das geschieht, um der Dienstroutine entgegenzuwirken.»
    «Ich verstehe.»
    Kovac, dessen Zappeln sich verstärkt hat, scheint es jetzt eilig zu haben, den Schauplatz seines Irrtums zu verlassen. Seine beiden Sergeanten haben auf einen Wink von ihm die Positionen an ihrer Seite geräumt und wenden sich zum Gehen. Eines aber hat Leutnant Kovac noch auf dem Herzen. «Werden Durchlaucht gegenüber Ihrer Kaiserlichen Hoheit erwähnen, dass   …»
    Elisabeth unterbricht ihn. Ihr Lächeln ist warm und huldvoll. «Sie haben nur Ihre Pflicht getan, Leutnant Kovac.»
    Und jetzt lächelt auch Kovac. Dann schlägt er die Hacken zusammen, salutiert und tritt den Rückzug an. Elisabeth blickt den Soldaten hinterher, als sie den Park verlassen und die Uferpromenade betreten. Ihre Silhouetten verschmelzen mit der eines Mannes, der einen Hund an der Leine führt, und am Ponte della Zecca verliert Elisabeth den Leutnant und seine beiden Sergeanten aus den Augen.
    Ein angenehmer Mann, dieser Kovac, denkt Elisabeth, während sie ebenfalls den Park verlässt und auf der Promenade mit den Füßen aufstampft, um den Schnee von ihren Stiefeln zu schütteln. Kein eleganter Frauenheld, kein Casanova, aber ein Mann, der seine Pflichten ernst nimmt, sich für das Leben der Kaiserin in die Bresche wirft und sich auch nicht scheut, wenn es ihm notwendig erscheint, kaltblütig eine

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