Schnee in Venedig
würde.
«Vielleicht sollten wir Kontakt zur amerikanischen Kolonie hier aufnehmen», sagte die Contessa nachdenklich.
«Es gibt keine amerikanische Kolonie. Nur ein paar Amerikaner im
Danieli
und im
Hotel Europa.
Ein paar von ihnen bleiben die Saison über in Venedig.»
«Wir könnten den amerikanischen Konsul einladen», sagte die Contessa.
«William Dean Howells?»
«Du weißt, wie er heißt?»
«Er war vor zwei Wochen auf der Questura, um sich umzumelden. Er ist vom Campo Bartolomeo in die Casa Falier am Canalazzo gezogen. Ein angenehmer Mann.»
«Dann sollten wir Mr. Hau …»
«Howells.»
«Mr. Howells auf unseren Ball bitten. Mach du das. Du kennst ihn.»
«Wenn du möchtest.»
«Hat dieser Howells die Casa Falier gekauft oder gemietet?»
«Gemietet. Howells ist Journalist.»
«Dann ist er vermögend. Sonst könnte er sich das nicht leisten.»
«Was?»
«Journalist zu sein», sagte die Contessa.
Und er, dachte Tron, konnte es sich nicht leisten, Kommissar zu sein. Nicht bei dem Zustand des Daches, der Fundamente, des Putzes zum Rio Tron hin. Ganz zu schweigen von seiner Garderobe. Er hatte die Schokoladentorte verspeist und wandte sich den Resten des Zitronenschaums zu, die von gestern übrig geblieben waren.
«Wo warst du eigentlich?», fragte die Contessa. Ihr Blick fiel auf Trons Frack.
«Im Fenice», sagte Tron. «Rigoletto.»
«War unsere Loge besetzt?», erkundigte sich die Contessa.
«Erst nach der Pause.»
«Findest du nicht, dass das
Danieli
uns zu wenig für die Loge bezahlt?»
Tron zuckte die Achseln. «Wir sind nicht die Einzigen, die ihre Loge im Fenice vermieten müssen. Das drückt die Preise. Außerdem stehen die Logen im Sommer meistens leer. Und die Hotels zahlen für das ganze Jahr.»
«Hast du erkennen können, was für Leute in unserer Loge gesessen haben?»
«Ich glaube, es waren Russen. Irgendein Großfürst mit seiner Familie.»
«Russen krümeln immer alles voll. Und machen Likörflecke auf die Sitze.» Die Contessa seufzte. «Das wird sich ja bei den Morosinis auch ändern.»
«Was?»
«Dass sie ihre Loge im Fenice an irgendein Hotel vermieten müssen», sagte die Contessa. Sie häufte einen Löffel Zitronenschaum auf ihren Dessertteller. «Wo hast du gesessen?»
«In der Loge einer Bekannten.»
«Sprichst du von einer
Frau
, Alvise?»
«Ich spreche von der Prinzessin von Montalcino.»
Die Augenbrauen der Contessa schossen ruckartig nach oben. «Du warst in der Loge der Prinzessin von Montalcino?»
«Ja.»
«Dienstlich?»
«Mehr oder weniger. Die Principessa war Passagier auf der
Erzherzog Sigmund.
Ich hatte noch ein paar Fragen an sie.»
«Ich bin der Prinzessin von Montalcino nie begegnet, aber man hört viel über sie.»
«Was denn?»
«Dass sie reich ist und verwitwet.»
«Das ist nichts Neues. Was weiß man sonst noch?»
«Francesco Montalcino hat sie im
Istituto delle Zitelle
kennen gelernt. Der Fürst saß im Beirat des
Istituto
.»
Tron nickte. «Jetzt sitzt die Principessa im Beirat.»
«Das wundert mich nicht. Angeblich ist die jährliche Summe, mit denen die Montalcinos das
Istituto
unterstützen, nach dem Tod des Fürsten noch erhöht worden.»
«Gibt es einen Grund dafür?»
«Es geschieht vermutlich aus Dankbarkeit.»
«Wer ist wem dankbar?»
«Die Principessa dem
Istituto
.»
«Das verstehe ich nicht.»
«Sie wäre ohne das
Istituto
nie eine Prinzessin geworden.»
«Was hatte die Principessa mit dem
Istituto
zu tun?»
«Dasselbe, was zweihundert andere Mädchen mit dem
Istituto
zu tun hatten. Sie war eines der Waisenkinder.»
Tron starrte die Contessa verblüfft an. «Bist du dir sicher? Und sie hat den Fürsten am
Istituto
kennen gelernt? Die Mitglieder des Beirates kommen doch mit den Mädchen gar nicht in Kontakt.»
«Der Fürst hat sie auch erst später kennen gelernt.»
«Wie denn?»
«Normalerweise verlassen die Mädchen das
Istituto
, wenn sie achtzehn Jahre alt sind. Aber die Principessa blieb im Haushalt der Pellicos. Und da ist sie dem Fürsten von Montalcino begegnet. Der Fürst soll völlig hingerissen gewesen sein. Er hat ein halbes Jahr nachdem er sie kennen gelernt hat, um ihre Hand angehalten. Sie haben in der Redentore geheiratet und gingen unmittelbar nach der Heirat nach Paris.»
«Woher weißt du das alles?»
«Von Bea Albrizzi. Ihre Schneiderin war im
Istituto
.»
«Was hat dir die Contessa Albrizzi noch erzählt?»
«Dass der Fürst und die Principessa vor drei Jahren nach Venedig
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