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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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nächtliche Verhaftung vorzunehmen.
    Aber vor allen Dingen ist er ein Mann, der weiß, dass es sich in Venedig für einen kaiserlichen Offizier gehört, Damen anzusprechen – notfalls auch mit unkonventionellen Mitteln, wenn es die Umstände erfordern. Und auf einmal kommt es Elisabeth lächerlich vor, dass sie auch nur einen Augenblick lang geglaubt hat, Kovac hätte ernsthaft vorgehabt, sie zu verhaften. Der Leutnant hat lediglich versucht, ihre Bekanntschaft zu machen – auf seine ganz eigene Art und Weise.
    Er muss sie beobachtet haben, keine Frage. Er muss gesehen haben, wie sie zwischen der Piazzetta und dem Ponte della Paglia gependelt ist, und bestimmt hat er genau registriert, dass niemand sie angesprochen hat. Wie nahe ist er ihr gekommen, ohne dass sie ihn bemerkt hat? Sicherlich so nahe, dass er eine Ähnlichkeit ihrer beider Physiognomien, insbesondere des Unterkiefers, bemerkt hat, und das muss ihn regelrecht scharf auf sie gemacht haben – vielleicht hat sie ihn an seine kroatische Mutter erinnert.
    Und als er sie am Ponte della Zecca gesehen hat, ist er ihr mit seinen Mannen gefolgt und hat zugeschlagen. Nicht um sie auf die Wache zu schleppen – im Nachhinein erscheint es grotesk, dass sie das jemals geglaubt hat   –, nein, um ein Gespräch einzuleiten, sich im Gespräch von ihrer Unschuld überzeugen zu lassen und um vielleicht späterdie beiden Sergeanten wegzuschicken. Die Kovac-Methode. Vielleicht etwas brutal, aber auf jeden Fall wirksam. Darüber, wie weit sie führt, kann sie nur spekulieren, aber Elisabeth weiß, dass die Wege der Liebe oft seltsam sind, und auszuschließen ist gar nichts.
    Dass es sich dann bei der Dame um einen Gast der Kaiserin gehandelt hat, muss ihn schockiert haben, und selbstverständlich hat für ihn in diesem Moment die Devise gegolten, die Operation so schnell wie möglich abzubrechen.
    Merkwürdig, denkt Elisabeth, indem sie auf den Palazzo Reale zuläuft und dabei ein paar Tauben aufscheucht, wie klar und deutlich doch vieles im Nachhinein ist – und wie vieles, was uns an Ort und Stelle verwirrt und in Panik versetzt, sich im Rückblick als völlig harmlos erweist.
    Die Leichtigkeit, die sie gespürt hat, als sie vorhin (wie lange ist es her? Eine Stunde? Zwei Stunden?) den Palazzo Reale verlassen hat, ist zurückgekehrt, und wieder folgt Elisabeth, wie ein Kind, dem Muster auf der Pflasterung der Piazza, zwei Schritte nach links, drei Schritte nach rechts. Sie muss den Impuls zu hüpfen gewaltsam unterdrücken.
    Elisabeth betritt den Palazzo Reale kurz vor zehn. Die beiden Sergeanten, die vor dem Eingang Wache stehen, winken sie gelangweilt an den Leutnant weiter, der im Vorraum an einem Schreibtisch sitzt, raucht und den
Giornale di Verona
liest. Als der Leutnant den Schriftzug der Kaiserin unter ihrem Passierschein erkennt, springt er auf und schlägt die Hacken zusammen – wie Kovac.
    Die Begegnung mit dem Burschen Pergens dürfte kein Problem werden, dessen ist Elisabeth sich jetzt sicher. Morgen hat die Wastl ihren freien Tag, und morgen Abend wird eine Gräfin Hohenembs, die in Wahrheit die Kaiserin von Österreich ist, ein Gespräch mit dem Verlobten der Wastl führen.

26
    Die Contessa saß in der Küche des Palazzo Tron und versuchte vergeblich, die Kälte zu ignorieren, die der Küchenfußboden ausstrahlte. Die Kälte drang durch die Sohlen ihrer Filzpantoffeln in ihre Beine, lief wie eiskaltes Wasser über ihren Rücken und kroch hoch bis in die Finger.
    Direkt vor ihr auf dem Küchentisch stand ein Teller mit den Resten einer Schokoladentorte, daneben eine Likörflasche und ein Glas. Sie trug einen verschlissenen Morgenmantel, darüber einen Umhang aus Wolle, auf dem Kopf eine Nachtmütze. In der Hand hielt sie einen Bogen aus fast kartonstarkem Papier, in dessen obere linke Ecke das Wappen der Morosinis geprägt war.
    Vor einer halben Stunde war sie in ihrem Bett erwacht und hatte festgestellt, dass es erst kurz nach Mitternacht war. Sie hatte versucht, wieder einzuschlafen, aber es war ihr nicht gelungen. Ob es an der Einladung lag, die sie erhalten hatte, oder an den Anfällen von Heißhunger, die sie hin und wieder nachts überkamen, konnte sie nicht sagen.
    Die Contessa atmete tief ein und versuchte, die Füße auf die Sitzfläche ihres Stuhls zu ziehen, wie sie es als junges Mädchen immer getan hatte, aber sie schaffte es nicht. Seufzend legte sie den Bogen, den sie immer noch in der Hand hielt, zurück auf den Tisch.
    Eine Million

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