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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Goldflorin,
dachte sie.
    Sie ergriff die Flasche, schenkte das Glas bis knapp unter den Rand voll und leerte es in einem Zug. Das wiederholte sie zweimal, bevor sie ausatmete und sich zurücklehnte. Ihr Blick fiel auf die gegenüberliegende Wandfläche, und sie registrierte den abblätternden Putz, die feuchten Stellen über dem Fußboden und das zerbrochene Fenster, das notdürftig mit einer Holzplatte geflickt worden war.
    Eine Million Goldflorin,
wiederholte sie flüsternd.
    Dann nahm sie die Spielkarten aus der Schublade des Küchentisches und legte eine Patience aus.
     
    Als Tron, der kurz vor halb eins am Wassertor des Palastes aus der Gondel gestiegen war, die Küche betrat, blickte die Contessa nur flüchtig auf. «Anzolo Morosini wird im März heiraten», sagte sie, ohne die Augen von ihrer Patience zu nehmen. «Eine junge Amerikanerin aus, äh, Bos   …»
    «Boston. An der Ostküste Amerikas.» Tron hatte sich gesetzt und damit begonnen, seine weißen Handschuhe von den Fingern zu zupfen. «Ist das die Einladung?»
    Anstatt zu antworten, schob die Contessa den Bogen über den Tisch. Der Text der Einladung war auf Italienisch und auf Englisch abgefasst.
    «Hast du die Absicht, diese Einladung anzunehmen?», fragte Tron.
    «Ich habe bereits zugesagt. In deinem und in meinem Namen.»
    «Ich hatte nie viel mit Anzolo Morosini zu tun.»
    «Eure Großväter waren befreundet.»
    «Das ist lange her. Warum heiratet er eine Amerikanerin?»
    «Eine Million Goldflorin.»
    «Wie bitte?»
    Die Contessa lächelte säuerlich. «Das ist die Höhe der Mitgift.»
    «Dann können sie ihr Dach reparieren lassen», sagte Tron.
    «Nicht nur das Dach. Auch die Fundamente und die Fenster – alles. Morosini muss nicht mehr am
Seminario Patriarcale
Latein unterrichten, und sie brauchen nicht mehr zu vermieten.»
    «Worauf willst du hinaus?»
    Die Contessa warf Tron einen verdrossenen Blick zu.«Dass wir mit der Zeit gehen müssen, Alvise. Es gibt Eisenbahnen, Gasbeleuchtung, Telegraphen und Dampfschiffe.» Sie griff nach dem Likörglas. «Man heiratet nicht mehr streng unter sich. Es ist ungesund, wenn achthundert Jahre lang dieselben dreißig Familien immer wieder untereinander heiraten. Das degen   … äh   …»
    «Degeneriert.»
    «Degeneriert. Es führt zu Fliehstirnen, Wolfsrachen und Schwimmhäuten zwischen den Fingern. Es ist verantwortungslos. Möchtest du, dass deine Tochter eine Hasenscharte hat?»
    «Natürlich nicht.»
    Die Contessa nickte befriedigt. «Siehst du? Also spräche einiges dafür, eine Amerikanerin zu heiraten.»
    «Ich kenne keine Amerikanerinnen.»
    «Auf der Hochzeitsfeier könntest du welche kennen lernen.»
    «Wann ist die Feier?»
    «Am 16.   März. Erst in der Salute, dann im Palazzo Morosini.»
    «Na gut. Ich werde es einrichten.»
    «Mit Kirche!»
    «Meinetwegen.»
    Die Contessa zog die Stirn in Falten. «Und dann sag nicht immer einfach nur ‹Tron›, wenn du dich vorstellst.»
    «Was soll ich denn sonst sagen?»
    «Sag
Conte
Tron. Betone das
Conte

    «Das ist doch albern.»
    «Natürlich ist es das. Aber bei diesen Amerikanern muss man immer etwas   …» Die Contessa brach ab und musterte ihre linke Hand, als würde sie gerade ein paar Schwimmhäute zwischen ihren Fingern entdecken.
    «…   dick auftragen?», ergänzte Tron.
    «Genau. Denk an die eine
Million Goldflorin
! Und halte dich gerade. Du stehst immer da, als hättest du eine Knochenkrankheit. Dein Vater hat auch immer so dagestanden. Willst du Torte?»
    «Ja, gib mir ein Stück Schokoladentorte.»
    Die Contessa reichte ihm einen Teller, auf dem zwei keilförmige Stücke lagen. «Bea sagt, es soll in der Stadt nur so von Amerikanern wimmeln.»
    Tron nickte. «Es werden jedes Jahr mehr. Obwohl die Amerikaner sich in dieser Saison eher zurückhalten. Wahrscheinlich wegen des Bürgerkrieges.»
    «Die Amerikaner haben einen Bürgerkrieg? Wieso denn?»
    «Weil sich die Südstaaten vom Norden abspalten wollen, damit sie weiter Sklaven halten können. Und das wollen die Nordstaaten nicht.»
    «Sklaven? Wie schrecklich. Vielleicht stammt daher das viele Geld, das der Vater dieser Amerikanerin besitzt.»
    «Leute aus Boston halten keine Sklaven. Boston liegt im Norden», sagte Tron.
    Er war sich nicht sicher, ob Boston tatsächlich im Norden der Vereinigten Staaten lag, aber das dürfte für die Contessa keine Rolle spielen, genauso wie ihr vermutlich gleichgültig wäre, woher das Geld stammte, mit dem sich das Haus Tron sanieren

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