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Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ragnar Jónasson
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Urteilsvermögen; aber nur einen Augenblick. Er schloss Ugla aus.
    Aber was war mit Anna? Er rief sich die Begegnung mit ihr in Erinnerung. Sie hatte sich gewiss in höchstem Maße seltsam benommen, als er sie besuchte. Sie hatte offensichtlich etwas zu verbergen, genau wie Karl. Hatten sie vielleicht gemeinsam etwas zu verbergen? Im selben Augenblick erinnerte er sich, dass er keinen der beiden bei Hrólfurs Leichenmahl gesehen hatte. Das musste aber auch nichts bedeuten … oder doch?
    Hatte Karl Hrólfur die Treppe hinuntergestoßen, um seine Affäre mit Anna zu verbergen?
    Oder Anna selbst?
    »Ich habe mir auch überlegt«, sagte er dann und wandte sich Tómas zu, »ob diese Geschichte über Hrólfur wahr sein kann, dass er ein Kind hat, das während oder nach Ende des Krieges geboren wurde.«
    »Das bezweifle ich, Meister. Aus der Gruppe derer, die im Theaterverein sind, wäre es am ehesten Nína, obwohl das ziemlich unwahrscheinlich ist.«
    »Nína?«
    »Ja, sie ist etwas älter als ich, wahrscheinlich um 1945 geboren.«
    »Wie kommst du gerade auf sie?«, fragte Ari.
    »Entschuldige, Meister. Manchmal gehe ich einfach davon aus, dass du genau dasselbe weißt wie ich – alles über alle …«
    Komm zum entscheidenden Punkt
.
    Ari schaute Tómas ungeduldig an, der die Augenbrauen hob und sagte: »Nína ist bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater aufgewachsen, auch wenn gesagt wurde, dass sie sein Kind sei. Die Mutter war mit ihm zusammengezogen, kurz nachdem sie schwanger geworden war. Ich habe keine Ahnung, wer der eigentliche Vater von Nína war. Ihre Mutter wohnte während der Kriegszeit im Süden, wenn ich mich richtig erinnere. Irgendein Soldat, vermute ich.«
    ***
    Ari schaute am Abend bei Ugla vorbei. Er ließ es bleiben, sie nach dem Erbe zu fragen. Brauchte sie allem Anschein nach nicht zu fragen. Er vertraute ihr.
    Er spürte an ihrer Art, dass ihre Verbindung sich veränderte, sich in etwas verwandelte, das er nicht erwartet hatte, als sie sich kennenlernten. Sie sprachen aber nicht darüber; sie schien schüchtern zu sein, und das entsprach ihm sehr – er hatte es noch vor sich, mit Kristín zu reden. Sich darüber klarzuwerden, was er wollte.
    Er versuchte, sich selber einzureden, dass Kristín nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Alles wäre zwischen ihnen zu Ende. Sie hatten nur wenig miteinander geredet, und sie schien mit ihren Gedanken weit weg bei den seltenen Telefonaten, die sie miteinander geführt hatten.
    Ugla begrüßte ihn freundlich, lächelte. Anziehend, wie immer. Er fühlte sich wohl bei ihr. Es überkam ihn immer eine Ruhe, wenn sie in der Nähe war. Sie trieb ihn vorwärts in der Dunkelheit und Einsamkeit. Die Straße war immer noch gesperrt, und eine andere Lawine, kleiner als die erste, war am Abend runtergekommen. Die Vorhersage war schlecht – die Leute aus Siglufjörður mussten noch etwas länger ausharren.
    Er kam direkt auf das Thema zu sprechen und zeigte ihr die Fotos. Legte ihr seine Vermutungen dar und bat sie zu schauen, ob sie auf den Fotos irgendetwas Ungewöhnliches entdecken konnte.
    Sie betrachtete sie, nahm sich etwas Zeit, schaute ein Foto genauer an. Da war etwas nicht so, wie es hätte sein sollen. Eine Kleinigkeit – aber dennoch interessant.
    Es überraschte Ari dagegen wirklich, die Namen derer zu hören, die daran beteiligt waren. Er musste sich offensichtlich weitere Informationen beschaffen, um ein deutlicheres Bild von der Sache zu bekommen – oder war er jetzt vielleicht völlig auf dem Holzweg?
    Er verabschiedete sich von Ugla mit einem Kuss. Freute sich darauf, sie wiederzusehen. Spürte Schmetterlinge im Bauch wie ein Schuljunge.

36. Kapitel
    Siglufjörður, Mittwoch, 21 . Januar 2009
    Als Ari sich am Dienstagabend schlafen legte, war er in Gedanken bei dem Fall; dachte an die Leute im Theater, an Karl und Linda und an die alte Sandra. Dieses Mal schlief er gut, es kamen keine beklemmenden Tauchgefühle hoch. Er war vielleicht auf dem Weg, sich langsam zu erholen. Als er erwachte, war es, als ob eine bestimmte Idee in ihm gezündet worden wäre. Das Gespräch mit Sandra – zwei unabhängige Tatsachen, die er in einem neuen Licht sah, wenn er daran dachte, was Tómas danach gesagt hatte, und die Informationen, die er bekommen hatte, als er den Vorfall im Theater untersuchte.
    Konnte es sein, dass hier im Dorf vor vielen Jahren ein schrecklich erbarmungsloses Verbrechen begangen worden war? Ein Verbrechen, das damals von niemandem beachtet

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