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Schneebraut

Schneebraut

Titel: Schneebraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ragnar Jónasson
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nicht – das ging mich nichts an.«
    Sie errötete.
    »Hast du irgendjemandem gegenüber erwähnt, dass Hrólfur ein Testament verfasst hat?«
    »Nein, das habe ich nicht. Er legte besonderen Wert darauf, dass es geheim bleiben sollte. Ich nehme so etwas ernst.«
    »Natürlich. Daran habe ich nicht gezweifelt.«
    »Wurde er … ermordet?«
    Ari hatte keine Gelegenheit, das zu beantworten. Er wurde aufgerufen, bedankte sich bei Guðrún für das Gespräch und eilte zur Konsultation zum Arzt.
    Nichts Ernstes, aber eine schlimme Verstauchung, sagte der Arzt. Das sollte in ein paar Tagen wieder besser werden. Er verordnete Ari, sich mindestens ein paar Tage freizunehmen; was aber noch schlimmer war, er sollte den Arm in eine Armbinde stecken, um die Schulter zu entlasten.
    Ari wollte am liebsten ablehnen, hatte aber die Kraft nicht dazu. Nicht jetzt. Er ging mit einem in eine Armbinde verpackten Arm hinaus, entschlossen, sie sich vom Leib zu reißen, sobald er auf der Wache angekommen wäre.
    Vielleicht. Aber vielleicht war es auch in Ordnung, die Schulter etwas ruhen zu lassen.
    Als er eine kurze Strecke in Richtung Wache zurückgelegt hatte, drehte er sich plötzlich um und schlug erneut die Richtung zum Krankenhaus ein.
    Er wollte noch einer Sache auf den Grund gehen. Hoffte darauf, dass er möglicherweise der Wahrheit über den Einbruch einen Schritt näherkommen könnte.
    ***
    Die Vermutung bestätigte sich – auch wenn er immer noch nicht wusste, warum bei ihm eingebrochen worden war. Auf dem Weg zur Wache überlegte er sich verschiedene Möglichkeiten. Nun war er etwas besser gelaunt und positiver gestimmt. Ihm kam als Erstes die Kamera in den Sinn. Er war so aufgeregt, dass er beinahe schon vergessen hatte, dass sein Arm in einem Dreieckstuch hing – und dass der Arzt ihm Ruhe verordnet hatte.
    Er setzte sich direkt vor den Bildschirm, ohne Tómas zu begrüßen, und schaute sich die Bilder aus dem Theater an.
    »Der Pfarrer hat jetzt eine Armbinde?«
    Tómas lächelte kollegial.
    »Was … ja. Genau. Es ist eine schlimme Verstauchung. Ich muss ein paar Tage lang eine etwas ruhigere Kugel schieben.«
    »Das habe ich schon vermutet. Du tauschst einfach mit Hlynur, ich werde ihn bitten, morgen zu kommen und diese Woche zu übernehmen, und du trittst deinen Dienst dann am Wochenende wieder an.«
    »Ich finde es besser, einfach bei der Arbeit zu sein. Ich habe zu Hause nichts zu tun.«
    Außer an die Arbeit zu denken, an Ugla und an Kristín.
    »Wir gehorchen dem Arzt.« Die herzliche Miene erinnerte Ari an seinen Vater; etwas in dem Stil hätte auch er gesagt.
    »Abgemacht. Aber ich werde sicher wie ein grauer Kater hier sein.«
    »Wie du willst. Du bist einfach nicht im Dienst, das ist klar.«
    Er schaute wieder auf den Bildschirm, schaute die Fotos an. Er wollte noch damit warten, Tómas von seiner Vermutung zu berichten. Zu versuchen, etwas weiterzukommen.
    Was hatten sie übersehen? Er schaute dieselben Fotos immer und immer wieder an.
    Nichts. Er wurde erneut von Hoffnungslosigkeit übermannt.
    Das Einzige, das ihm in den Sinn kam, war, sie Ugla zu zeigen – war sie nicht der einzige Mensch, dem er vertrauen konnte? Vielleicht würde ihr etwas auffallen. Aber das war nicht so einfach. Dann müssten sie über ihre Situation reden … und womöglich auch über das Testament – und sehr wahrscheinlich war es an und für sich eine unmögliche Idee, ihr die Bilder vom Tatort eines möglichen Verbrechens zu zeigen, in einem Fall, in dem sie selber … ja, unter Verdacht stand.
    Er speicherte die Bilder auf einer CD und steckte sie sich in die Tasche.
    Er beschloss, zuzuschlagen. Ugla zu treffen. Zu hören, was sie zu den Geschichten beizutragen hatte.
    ***
    Er hatte sich mit den Jahren verändert, war reifer geworden. Als er zurückschaute, bereitete es ihm Mühe zu verstehen, wie er damals so sein konnte, ja, boshaft, als er jünger war. Boshaft und widerwärtig.
    Er war für sein Alter schon immer groß gewesen, stark – doch anstatt sich das zunutze zu machen, um den Kindern in der Schule zu helfen, die Hilfe brauchten, fand er ein Ventil für seine Energie mit Hänseleien. Hänseleien war allerdings nicht das richtige Wort. Das war ein sehr unscheinbares Wort dafür, was heutzutage Ausgrenzung genannt wurde. Er erwachte nachts manchmal schweißgebadet, rief sich alte brutale Taten in Erinnerung und dachte bei sich:
Ich werde dafür in der Hölle landen
.
    Diese Zeiten waren schon längst vergangen; er war

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