Schneegeflüster
quietschten entsetzt, während Männer mit bereits deutlich erkennbarem Glatzenansatz Nullkommafünfliterflaschen Evian mit Imponiergehabe auf das brennende Gestrüpp schütteten. Ich sah, wie der Leiter der Presseabteilung hektisch den lebensgroßen Weihnachtsmannaufsteller in Sicherheit brachte, als handelte es sich um den Bundespräsidenten. Der Pappkamerad, durch den man von hinten sein Gesicht stecken konnte, war der Hit der Verlagsweihnachtsfeier. Vor seiner Brust hielt er nämlich den Flop des Winterprogramms, ein Kochbuch mit englischen Weihnachtsspezialitäten und dem
schlagkräftigen Titel »Pudding mit Santa.« Ich betrachtete andächtig die Bescherung. Schließlich war ja niemandem aufgefallen, dass es meine Wunderkerze gewesen war, die mitten im gemeinschaftlichen »Oh du Fröhliche«-Singen via Funkenflug den hässlichen Papierengel in Brand gesetzt hatte, der, bedruckt mit dem Verlagslogo, das diesjährige Firmenweihnachtsgeschenk gewesen war. Kurz nach der Auslieferung hatte ein geheimer Wettbewerb begonnen: Wer findet die gemeinste Papierengelvernichtungsmethode?
»Gewonnen!«, sagte ich leise und nahm einen Schluck lauwarmen Weißwein.
Jemand hatte nun den Feuerlöscher angeschleppt, der seit gefühlten tausend Jahren draußen im Flur hing. Zwei beherzte Mitarbeiter vom Vertrieb versuchten, dem Ding ein wenig Schaum zu entlocken. Katastrophale Mängel im Brandschutz, dachte ich und schaute zu Tamara. Sie stand mit aprikotfarbenen Wangen und scharf gespitzten Lippen mitten im Chaos und sah zu, wie ihre generalstabsmäßig geplante Betriebsfeier zu Asche zerfiel. Tamara war die Programmleiterin und damit verantwortlich für den Haufen Verrückter, die ihre Lebenszeit damit vergeudeten, in der Ära der Supermarktfertiggerichte Kochbücher aus aller Welt zu produzieren. Ziemlich erfolglose Kochbücher.
Tamara wandte ihren Blick von den eifrigen Bemühungen männlicher Helden ab, und für einen Moment traf er sich mit meinem. Åsa Glück , sagte er, das ist das letzte Mal, dass du Weihnachten kaputt machst , was sich nicht auf den brennenden Tannenbaum, sondern auf Santa und die englische Küche bezog. Denn die Idee, ausgerechnet den kulinarisch zweifelhaften Angelsachsen einen Spitzentitelplatz im heiligen Dezember einzuräumen, die stammte von mir.
Folglich war ich der Grinch, der das Weihnachtsgeschäft klaute. Bereits im Frühjahr hatte ich Schiffbruch erlitten mit einem appetitlichen Reiseführer durch Stockholm, die Heimatstadt meiner Mutter, was meinen Status als beste Lektorin des Verlags gefährlich ins Wanken gebracht hatte.
Endlich war es den schwitzenden Kollegen gelungen, den kümmerlichen Rest des Christbaumes zu löschen. Übrig blieb ein Haufen qualmender Äste, kein einziger Papierengel hatte das Massaker überlebt. Christoph, mein fleißiger, aber hoffnungslos verträumter Lektoratskollege, kniete auf dem Fußboden und sammelte die Scherben zu Bruch gegangener Gläser ein. Dabei konnte man einen Blick auf den Bund seiner Unterhose und seinen Po-Ansatz erhaschen, was bei einem Mann von geschätzten hundertsechzig Kilo kein sehr erotischer Anblick war. Nicht einmal für einen ausgehungerten Single wie mich.
Ich seufzte und beschloss, dass es an der Zeit war, nach Hause zu gehen, als mir jemand von hinten auf die Schulter tippte. Verärgert drehte ich mich um und erwartete, Tobias Andrekas grinsendes Gesicht zu sehen. Er war ein ziemlich untalentierter Fernsehkoch und B-Prominenter, der dem Verlag dennoch die höchsten Verkaufszahlen bescherte. Seine Fans waren hauptsächlich einsame Hausfrauen, die sein schmieriges Wesen anziehend fanden und bei seinen Events mit feuchten Augen an seinem penetranten Aftershave schnupperten wie Schüler an Klebstoff.
Doch es war nicht Andreka, der mich da leicht benebelt anstarrte. Er hätte in einem weißen Traum aus Tüll und Watte, mit Goldhaar und gigantischen Flügeln auch ziemlich bescheuert ausgesehen. Das Wesen im Engelskostüm hickste und versuchte, das Gleichgewicht zu halten, was
nicht so leicht war, denn es schwebte ohne Bodenkontakt etwa zwanzig Zentimeter über dem Linoleum und hatte eine grauenhafte Alkoholfahne.
»Assa Glück?«
»Es ist schwedisch, und man spricht es Osa mit O. Kennen wir uns?«
Das Wesen schwankte in einer Weise, die an Captain Jack Sparrow erinnerte, und schürzte die pinkfarben verschmierten Lippen.
»Nein, wir kennen uns nicht. Aber wenn du die Geisteskranke bist, die am dreiundzwanzigsten Dezember um
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