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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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Lebensdauer beschieden ist?
    »Aber Sie haben sie nicht …?!«, beginnt der Fremde zaghaft, und ich nehme einen weiteren Schluck Cognac.

    »Was wollen Sie wissen?«, frage ich eine Spur zu laut. Und zu schrill. »Wollen Sie wissen, ob ich etwas mit ihrem Tod zu tun habe?«
    Der Fremde schüttelt den Kopf. »Nein, eigentlich nicht. Bitte verzeihen Sie mir meine Anmaßung.«
    »Ich weiß ja auch, dass das ziemlich seltsam klingt. Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass ich mich frage, womit ich das verdient habe. Mieses Karma allein reicht mir nicht als Begründung.«
    »Es gibt kein mieses Karma. Nur das Leben selbst. Das geht nun mal bisweilen seltsame Wege …«
    »Ja, ich weiß, ich weiß. Getreu dem Spruch von John Lennon: Life is what happens while you’re busy making other plans.«
    »Ja, so in etwa.«
    Wir schweigen.
    Jeder von uns fixiert einen Punkt. Ich den Grabstein, der Fremde irgendetwas am Horizont.
    »Mögen Sie mir erzählen, was passiert ist?«
    Ich denke nach. Will ich? Will ich einem wildfremden Menschen in einem schmuddeligen Mantel erzählen, wie es ist, dreimal hintereinander den Mann zu verlieren, den man über alles liebt?
    »Thomas wurde vor drei Monaten von einem LKW überfahren, Alexander war gegen Wespen allergisch und starb an einem anaphylaktischen Schock. Daniel ist beim Squashspielen tot umgefallen. Ein versteckter Herzfehler.«
    »Dann ging es also bei allen dreien sehr schnell …«
    »Ja. Zum Glück. Keiner von ihnen musste leiden.«
    Nur ich. Und das dreimal.
    »Denken Sie viel an sie?«

    In der Tat. Manchmal habe ich das Gefühl, nichts anderes zu tun. Ein Wunder, dass ich trotzdem mein Leben geregelt bekomme.
    »Tag und Nacht, wenn ich ehrlich bin.«
    Der Mann nickt.
    »Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch«, fährt er fort, während ich mich frage, was er eigentlich hier macht. Geht er nur spazieren oder besucht er das Grab nebenan?
    »Aber haben Sie all Ihre Männer gleichermaßen geliebt?«
    »Warum wollen Sie das wissen?«
    »Ich beschäftige mich gern mit Fragen des Lebens. Und dazu gehört natürlich auch die Liebe. Sie kennen doch sicher die Floskel Ich liebe dich wie noch nie jemanden zuvor , wenn man glaubt, endlich die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Drei Ehemänner sind schon eine ganze Menge …«
    Ich senke den Kopf. An sich finde ich das Verhalten des Unbekannten unverschämt. Unter normalen Umständen würde ich mich umdrehen und grußlos gehen.
    Doch dies sind keine normalen Umstände.
    Heute ist Weihnachten. Alles ist tief verschneit, und der Cognac benebelt meine Sinne.
    »Als ich Alexander kennenlernte, dachte ich, das mit uns wäre für immer. Er wäre der Mann, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringe. Dass ich den Rest seines Lebens mit ihm verbringe, konnte ich zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht ahnen. Nach seinem Tod dachte ich natürlich, auch mein Leben wäre zu Ende, so stark war meine Trauer. Und natürlich meine Einsamkeit. Bis ich Daniel begegnete. Daniel, der Sportler. Daniel, der so viel lachte. Daniel, die Vitalität in Person. Bis er eines Tages in einem Squash-Court zusammenbrach. Ob ich Daniel mehr geliebt habe als Alexander, kann
ich nicht sagen. Sie ähnelten einander gar nicht. Auch das Zusammenleben mit ihnen war ganz verschieden.
    Ich war nach Alexanders Tod ein anderer Mensch, so wie ich es auch nach Daniels Tod war. Dasselbe gilt natürlich auch für Thomas.«
    »Klingt, als hätten Sie alle drei Männer gleich stark geliebt!«
    »Ja, ich glaube, das habe ich. Und ich tue es noch. Manchmal frage ich mich, wie es sein wird, wenn ich gestorben bin und die drei im Himmel wiedersehe. Werde ich mich dort für einen von ihnen entscheiden müssen? Werde ich sie nach all der Zeit noch mögen? Werden sie sich verändert haben? Oder gelten im Himmel ganz andere Gesetze? Sind Zugehörigkeitsgefühl, Besitzdenken und Egoismus einfach ausgeschaltet? Löst sich vielleicht alles auf, und wir sind nur noch Materie?«
    Ich schaue dem Fremden ins Gesicht und versuche in seinen warmen braunen Augen zu lesen.
    Hält er mich jetzt für verrückt?
    Oder für eine überspannte Esoterikerin?
    Ich seufze erneut. Allmählich wird mir kalt, und das Gespräch beginnt mich zu ermüden.
    »Wünschen Sie sich denn, sie alle wiederzusehen?«, will der Fremde wissen. Ich nicke und schaue plötzlich, ohne zu wissen warum, auf seine Füße.
    Seine Füße stecken nackt im eiskalten weißen Schnee.
    Ich schaudere. Wer ist dieser Mann?
    Da höre ich ein

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