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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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er sitzen kann, aber weil meine Eltern stehen bleiben, kann er sich auch nicht setzen. »Weißt du, wer das ist?«, sage ich zu meiner Mutter. »Adam. Ich bin mit ihm in eine Klasse gegangen. Mein erster Freund.«
    »Sind Sie der mit der Geige?«, fragt sie scheinheilig.
    »Nein«, sage ich, »das war Florian.«
    »An den erinnere ich mich«, sagt sie munter, »er hat wunderschön gespielt.«
    »Du hast ihn niemals spielen hören, Mama«, sage ich.
    »Nein?«, fragt sie ungerührt. »Na ja. Vielleicht habe ich es mir vorgestellt, weil du so schön von ihm erzählt hast. Spielen Sie auch ein Instrument?«
    »Früher ein bisschen Gitarre.«
    »Adam ist derjenige, mit dem ich mit vierzehn zu Weihnachten Skifahren gehen wollte«, sage ich. »Erinnert ihr euch?«
    »Du warst doch immer nur auf den Schulskikursen.«
Meine Mutter runzelt die Stirn und tut so, als ob sie nachdenkt.
    »Ihr habt mich ja auch nicht fahren lassen«, sage ich.
    »Da werden wir gute Gründe gehabt haben«, sagt mein Vater.
    »Eure Gründe waren überhaupt nicht gut.« Ich merke, dass meine Stimme unangenehm hoch klingt. »Du hattest etwas gegen seine Eltern einzuwenden!«
    »Unsinn«, sagt meine Mutter. Sie wendet sich an Adam. »Ich kenne Ihre Eltern überhaupt nicht, wie käme ich dazu, etwas gegen sie zu haben.«
    »Wissen Sie«, sagt mein Vater in kollegialem Tonfall zu Adam, »meine Tochter neigt zu Verschwörungstheorien. Sie glaubt, dass alles, was auf der Welt nicht gut für sie läuft, unsere Schuld ist.«
    »Er hat mir damals einen Brief geschrieben, den ich nie bekommen habe.«
    »O je,« sagt meine Mutter, »das war doch früher wirklich noch schlimmer als jetzt mit der Post. Obwohl sie natürlich immer noch alles Geld stehlen, das in Briefen ist, man darf niemals Geld in Briefen schicken und auch sonst nichts Wertvolles.«
    »Er hat den Brief unten in den Kasten gesteckt, Mama.«
    »Ja, ja«, sagt sie, »zu Weihnachten machen das alle. Die Patienten stopfen einem mit ihren Glückwünschen den Briefkasten voll. Stecken ihr Zeug einfach hinein, um sich die Marke zu sparen, und man weiß dann gar nicht, wo es herkommt, das kann ja dann alles Mögliche sein, seit dieser Geschichte in Jugoslawien sind hier furchtbare Diebsbanden unterwegs. Natürlich, die Leute sind arm, aber sie sollen sich das doch bitte nicht von uns holen.«

    »Was machen Sie beruflich?«, fragt mein Vater. Ich stehe da und weiß nicht, wie mir geschieht, während mein Vater Adam in ein Gespräch über die Steuerreform verwickelt.
    »Komm, hilf mir in der Küche«, sagt meine Mutter. Sie holt die Lachsbrötchen heraus, die sie vorbereitet hat.
    »Mama«, sage ich, »du hast diesen Brief weggeworfen. Und ein Geschenk, das drinnen war!«
    »Blödsinn! Was du dir immer einbildest.« Sie fuhrwerkt mit den Gläsern herum, dreht mir den Rücken zu.
    Halblaut sagt sie: »Das ist doch dieser Bursche, der Adolf heißt.«
    »Was? Er heißt A-dam. Nicht A-dolf.«
    »Du hast Adi zu ihm gesagt.«
    »Ja, Adi, von Adam.«
    »Ihr könnt nicht lange bleiben. Mihai fühlt sich nicht wohl, wegen seinem Herz.«
    »War es deshalb? Wegen seinem Namen?«
    »Nimm die Gläser, und tu sie aufs Tablett.«
    Sie verschwindet mit den Brötchen ins Wohnzimmer. Sie holt die Tortenplatte aus der Vitrine, nimmt den Karton, den ich mitgebracht habe, und sagt wie jedes Jahr beeindruckt: »Oh, Demel! Die muss ein Vermögen gekostet haben«, öffnet den Karton und schaut fassungslos auf die darin befindliche Torte.
    »Lenka«, sagt sie, »die ist ja mit Erdbeeren.«
    Ich erstarre. Dass mir das passieren konnte. Mein Vater hat eine schwere Erdbeerallergie. Immer wieder wird die Geschichte erzählt, wie meine Mutter ihn, als sie hochschwanger war, auf die Unfallstation bringen musste, weil er ausprobieren wollte, ob die Allergie vergangen war, und einen anaphylaktischen Schock bekommen hat.

    »Mein Mann hat eine Erdbeerallergie«, erklärt sie Adam, »das wären ja schöne Weihnachten geworden, die uns Lenka da wünscht.«
    »Na so was«, sagt Adam verblüfft, »ich habe das auch.«
    »Das ist allerdings erstaunlich«, sagt mein Vater und wirkt erfreut, »Erdbeerallergie ist eher selten - Nuss ist viel häufiger. Wann ist sie das letzte Mal aufgetreten?«
    »Als ich ein Kind war. Ich habe seitdem nie wieder Erdbeeren angerührt.«
    »Wissen Sie, dass diese Allergien mit zunehmendem Alter oft völlig verschwinden? Aber die Leute trauen sich nicht es auszuprobieren, und deshalb essen sie ihr ganzes Leben

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