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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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willst, du hast es mir nicht einmal selber gesagt, und dann habe ich dir diesen unglaublich langen Brief geschrieben.«
    »Ich habe nie einen Brief von dir bekommen.«
    »Du hast ihn todsicher gekriegt, ich habe ihn im Hausflur selbst in euren Briefkasten geworfen. Es wird dir nicht so wichtig gewesen sein. Du hast ja auch das Geschenk nie getragen.«
    »Was für ein Geschenk?«
    »Sag nicht, dass du sogar das vergessen hast.«
    »Sag mir, was es war.«
    »Eine Plastikuhr, mit einem roten Herz als Zeiger.«
    »Die war … diese Uhr war im Schaufenster von dem Laden, wo wir uns das erste Mal geküsst haben.«

    »Ah, du erinnerst dich doch! Du bist nach den Ferien in die Klasse gekommen, ich habe als Erstes auf dein Handgelenk geschaut, und da war nichts. Da hab ich gewusst, dass du mich nicht mehr willst.«
    Ich bestelle einen doppelten Whisky und trinke ihn mit zwei Schlucken aus. Er erzeugt in meinem Magen eine Wolke aus Hitze und Wagemut, und mir kommt ein unglaublicher Gedanke.
    »Hast du nachher noch etwas vor?«, frage ich, »sonst könntest du mit zu meinen Eltern kommen.«
    »Ich kann doch nicht einfach uneingeladen bei eurer Weihnachtsfeier auftauchen«, sagt Adam.
    »Wir sind Juden«, sage ich.
    »Ach, und da geht das?«, fragt Adam. »Wie feiert ihr denn Weihnachten?«
    »Gar nicht.«
    Er schaut mich verständnislos an, und ich reagiere gereizter, als ich eigentlich will, weil mir das schon so oft passiert ist.
    »Was wird zu Weihnachten gefeiert?«, frage ich ihn wie eine Lehrerin.
    »Das Fest der Liebe?« Er hofft wohl, dass es das ist, was ich hören will.
    »Die Geburt Christi«, sage ich. »Und was unterscheidet die Juden von den Christen? Die Christen glauben, dass Jesus Christus der lang angekündigte Erlöser ist. Während die Juden immer noch auf ihn warten. Die Christen feiern zu Weihnachten, dass sie keine Juden mehr sind, und die Juden feiern es naturgemäß gar nicht.«
    »Aber habt ihr da nicht irgendein anderes Fest um diese Zeit?«, fragt Adam, der immerhin nicht aufgeben will.

    »Chanukka«, sage ich, »das Gegenteil von Weihnachten. Der Sieg der Juden über irgendwelche Feinde.«
    »Und wie feiert ihr Chanukka?«
    »Wir? Gar nicht. Wir sind nicht religiös«.
    »Aber - inwiefern seid ihr dann Juden?«, fragt Adam.
    »Vergiss es. Ich wollt nur sagen, dass es keine Feier gibt, bei der du stören würdest. Im Gegenteil, ich glaube, du würdest den Abend sehr bereichern. Ich rufe meine Eltern an und frage, ob ich dich mitbringen kann.«
    Ich gehe in die gute alte Telefonzelle neben dem Klo. Von hier aus habe ich damals zu Hause angerufen, um zu sagen, dass ich bei Dorle Schulaufgaben mache, wenn ich mit Adam zusammen sein wollte. Die Zelle ist völlig unverändert, nur dass der Hörer abgerissen ist, aber das macht nichts, ich kann sowieso nicht zu Hause anrufen und ankündigen, dass ich einen Fremden mitbringe, meine Eltern würden die Wohnungstür von innen verbarrikadieren und die Polizei rufen. Ich atme tief durch. Ich überlege, ob ich das Handy herausholen und Olli von meinem ungeheuerlichen Vorhaben erzählen soll. Aber seine Reiki-Therapeutin hat zwei Kinder, zu denen wahrscheinlich gerade das Christkind kommt, da kann ich nicht stören. Ich muss es alleine tun, und nur das Universum sieht mir zu.
     
    Ich habe keine Ahnung, was passieren wird, aber jedenfalls steht neben mir ein Zeuge aus Fleisch und Blut, mit dessen Hilfe ich alles beweisen kann. Ich klingle. Meine Mutter öffnet die Tür, mein Vater steht ein paar Schritte hinter ihr im düsteren Flur. Als sie den fremden Mann neben mir sehen, geht sie ein Stück zurück, und er kommt gleichzeitig nach vorne, als wären sie durch eine unsichtbare Achse
miteinander verbunden, wie zwei Figuren eines Wetterhäuschens. »Ich habe jemanden mitgebracht«, sage ich. Mir fällt auf, wie klein sie sind, klein und alt. Normalerweise sehe ich meine Eltern nicht im Vergleich zur übrigen Welt. Ich besuche sie in der Wohnung, in der ich aufgewachsen bin, und die sich genauso wenig verändert hat wie sie. Aber jetzt, neben Adam, sehen sie winzig aus.
    »Ah so. Ja«, sagt meine Mutter. Sie rühren sich nicht. Ich muss mich seitlich an ihnen vorbeizwängen, um Adam genug Platz zu machen, dass er hereinkommen kann. Er begrüßt sie höflich, bedankt sich, dass sie ihn eingeladen haben. »Sicher«, sagt meine Mutter in eisigem Ton, »wollen Sie einen Moment bleiben?«
    »Ja, gerne«, sagt Adam unsicher. Ich schiebe ihn ins Wohnzimmer, zeige ihm, wo

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