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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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wurden.
    Als sie sich mit der Schachtel in der Hand umwandte, um zum Kalender zu gehen, stand Carl schon neben ihr. Wenn Hotelbetrieb herrschte, bewegte er sich normalerweise so langsam wie ein Mensch durch das Gebäude, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch diese Frau wollte er spüren und riechen, ehe sie ihn bemerkte. Sie hinterließ einen Hauch von süßen Aprikosen und Sonne, der verschwand, kaum dass sie ein paar Schritte von der Rezeption weggetreten war.
    Victor begrüßte ihn, und Carl musste sich beherrschen, um der Frau und ihrem Geruch nicht zu folgen. Denn da lag noch etwas in der Luft. Etwas, das ihn Opfer denken ließ, obwohl die Frau jung und gesund war und so wenig geeignet, seinen Hunger zu stillen, wie die rothaarige lebenslustige Pauline hinter der Rezeption. Trotzdem ertappte sich Carl bei dem Gedanken, wie wohl das Blut der Fremden schmecken würde.
    Er musste ihr nachgestarrt haben, denn neben ihm dröhnte Victors tiefes Lachen. »Carl Géza Zápolya ist also doch nicht ganz immun gegen die Reize einer schönen Frau. Wer hätte das gedacht?«

    Carl begnügte sich mit einem Schulterzucken, dabei hätte er am liebsten genervt die Augen verdreht. Wenn Victor nicht aufpasste, landete er früher im Grab, als ihm lieb sein konnte. Sie wussten es nicht, aber bisher war noch jeder Steiner mit Carls Beißzähnen im Nacken in den Tod geglitten. »Wer ist sie? Ich habe sie noch nie im Hotel gesehen.«
    »Sarah Morgental, Assistentin der Direktion.« Victor grinste, und Pauline sagte: »Sie macht den Adventskalender. Anstelle von Max.«
    Das Grinsen verschwand abrupt aus Victors Gesicht. Er richtete sich auf, brummte etwas und verschwand mit einer winkenden Handbewegung in den Büroräumen.
    Carl drehte sich zu Pauline um, die die Hände hob. »Max. Der Loser, der nach Mallorca abgehauen ist und uns hat sitzen lassen.«
    Ah, der Blonde. »Warum regt sich Steiner so darüber auf?«
    Pauline deutete mit dem Kinn zu der dunkelhaarigen Frau am Adventskalender - Sarah mit den perfekten Waden und dem Sommerparfüm mitten im Winter. »Die waren doch zusammen. Seit zwei Jahren. Nächsten Sommer wollten sie heiraten.«
    »Ah.« Carl zuckte mit den Schultern. Er hatte nicht gewusst, dass der blonde Max liiert gewesen war.
    Die Hoteltüren öffneten sich, und eine Gruppe Reisender kam herein, eine Busladung Rumänen. Stimmengemurmel erfüllte die Lobby. Die weichen, rollenden Laute versetzten Carl für einen Moment zurück an die Uferweiden der Mureş, wo er seine Jugend verbracht hatte. Fast wäre ihm entgangen, wie Sarah bei dem Schwall kalter Luft näher an
die Wand trat und sich das Wolltuch fester um die Schultern zog.
     
    Eine alte Dame hatte einen ausgesetzten Labrador bei sich aufgenommen. Der Hausmeister des Hotels hatte nach Feierabend die Uferwege am Fluss von den Massen frisch gefallenen Schnees freigeschaufelt. Zwei junge Mädchen hatten in heroischem Einsatz den Weihnachtsbaum in der Lobby gerettet, der durch einen Kabelbrand in Flammen aufgegangen war.
    All diese guten Taten belohnte Sarah mit einem ihrer Geschenkgutscheine und steckte danach ordentlich Buchstabe um Buchstabe auf die Tagesleiste des Kalenders. Hund gerettet, Schnee geräumt, Brand gelöscht - sie formulierte die Taten so knapp wie möglich, damit auch noch die Namen der Wohltäter auf den Kalender passten.
    Sie suchte gerade ein Ö, da bemerkte sie aus dem Augenwinkel, dass Carl die Treppe herunterkam. Jeden Tag betrat er pünktlich mit Einbruch der Dämmerung die Lobby und ließ sich von Sarah die neueste gute Tat schildern. Sie plauderten, bis Sarah Feierabend hatte, und Carl, immer viel zu leicht gekleidet, ebenfalls das Hotel verließ und in der nächsten Seitenstraße verschwand. Carl Zápolya - was für ein seltsamer Mann. Sie hatte noch nicht herausfinden können, was er beruflich machte. Er arbeitete nachts, so viel war klar, doch ein Nachtwächter konnte es sich nicht leisten, sich im Steiner einzuquartieren, auch wenn Carls Zimmer klein und dunkel war. Die Unterlagen in der Personalabteilung gaben nichts her: Sie hatte keine Nachweise über die Buchung des Zimmers im Computer gefunden. Was bedeutete, dass Carl vor 1992 ins Hotel gezogen
sein musste, denn in diesem Jahr war alles auf EDV umgestellt worden.
    »Haben Sie heute Abend schon etwas vor?« Er stand plötzlich neben ihr, war so lautlos von hinten zu ihr getreten, dass sie nicht einmal einen Luftzug verspürt hatte.
    Sarah musste unwillkürlich lächeln.

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