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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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mich fängt sie nicht an, oder?«
    »Nein …«
    »Linda, ich weiß, wie sehr Sie sich zusammenreißen. Tausendmal habe ich mich insgeheim gefragt, was Ihre Seele wohl so verletzt hat, dass Sie sich hinter dieser lächelnden Maske verstecken. Jetzt weiß ich es.«
    Linda verknotete nervös die Hände und fühlte, wie der Fahrtwind ihr Haar zerzauste. Das muss ich gleich vor dem Auftritt noch richten, dachte sie fahrig.
    »Ich konnte mich nie bei meiner Frau entschuldigen für das, was ich ihr angetan habe.« Der Kapitän stand an der Reling und blickte in den Sternenhimmel. Täuschte sie sich, oder blinzelte er eine Träne weg?
    »Sie hat mich sofort in den Wind geschossen, und die Mutter des besagten Kindes ebenfalls. Ich bin daher auch immer froh, wenn ich an Weihnachten weit weg bin. Zahlen muss ich allerdings für alle drei.« Er lächelte selbstironisch.
    »Ich habe mich auch scheiden lassen«, hörte Linda sich sagen. »Und an diesem letzten Weihnachtsabend bin ich auch nicht mehr zum Kirchenchor gegangen. Ich hätte
es nicht ertragen, neben dieser Frau zu stehen, der ich Jahre vorher so herzlich zur Geburt ihres Kindes gratuliert hatte!«
    »Haben Sie nie gefragt, wer der Vater ist?« Der Kapitän nahm nun Lindas Hände, mit denen sie gedankenverloren das hölzerne Geländer der Reling umklammert hatte.
    »Doch, aber sie hat mir immer gesagt, der Vater sei nicht der Rede wert, und so habe ich mich auch noch um das Kind gekümmert …« Linda drehte dem Kapitän abrupt den Rücken zu und lachte hart. »Ich war sogar die Patentante. Wir Frauen sind so dumm …«
    »Ich möchte mich stellvertretend für mein Geschlecht bei Ihnen entschuldigen«, sagte der Kapitän plötzlich ganz nah an ihrem Nacken. »Wir Männer sind so gedankenlos …«
    »Ich muss die Show ansagen.«
    »Ja. Warten Sie. Sie haben da was im Haar …«
    Was war denn das? Der Kapitän streichelte ihr doch nicht etwa über den Kopf?
    O Gott, dachte Linda. Jetzt muss ich auch noch meine roten Flecken mit Make-up überdecken.
    »Merry Christmas«, flüsterte der Kapitän, als Linda sich nervös die Augen wischte. Nun war die Wimperntusche auch noch hin.
    »Sie halten mich von meiner Arbeit ab …«
    »Darf ich Sie nach der Show zu einem Glas Champagner einladen?« Der Kapitän sah Linda tief in die Augen. »Bitte. Und dann werfen Sie mir alle Schimpfworte an den Kopf, die Sie kennen.« Er lächelte kleinlaut. »Männer sind auch nur Menschen …«
    »Alle Schimpfworte, die ich auf Englisch kenne?« Linda
musste bereits wieder lachen. »Oder dürfen es auch deutsche sein?«
    »International«, sagte der Kapitän todernst. »Ich kann Ihnen helfen, ich habe da ein riesiges Repertoire.«
    Zwei Minuten später stand sie auf der Bühne. Ihr Make-up war nicht so perfekt wie sonst, und ihre Frisur war irgendwie vom Winde verweht.
    »Merry Christmas«, hörten selbst die allerschwerhörigsten der steinalten und steinreichen amerikanischen Gäste sie so laut ins Mikrofon sprechen, dass es fast übersteuerte.
    Aber wer genau hinhörte, konnte einen glücklichen Unterton erkennen.

BEATE MALY
    Vanillekipferl
    Wien im Dezember 1857
    »Ihre Tante schickt mich.« Marie, das Dienstmädchen von Tante Emilia, steckte den dunklen Lockenkopf ins Zimmer und lächelte verlegen. »Ich soll Ihnen beim Schnüren des Korsetts helfen.«
    »Später, Marie«, sagte Charlotte. Sie wollte die Tortur der Schnürung so lange wie möglich hinauszögern.
    »Die gnädige Frau hat gesagt …«
    Charlotte unterbrach sie: »Marie, wenn ich deine Hilfe benötige, dann ruf ich dich. Vielen Dank!«
    Das Mädchen machte einen Knicks und verschwand. Auch nach drei Jahren hatte sich Charlotte noch nicht daran gewöhnt, dass ihr Dienstboten beim Ankleiden helfen wollten. Nach dem Tod ihres Vaters hatte sie die kleine Mietwohnung am Wienerberg, in der sie mit ihm gewohnt hatte, aufgegeben und war in das komfortable Stadtpalais ihrer Tante am Kohlmarkt gezogen.
    Charlotte griff nach dem Korsett, hielt es sich vor den
Körper und trat an den Spiegel. Ihren schmalen Leib in dieses Folterinstrument aus Stoff, Draht und Schnüren einzuspannen, hielt sie für eine völlig überflüssige Quälerei. Charlottes Vater, der sich als Arzt um arme Arbeiterfamilien gekümmert hatte, wäre darüber entsetzt gewesen. Angeblich hatte sie den zarten Körperbau von ihrer Mutter, genau wie das rotblonde Haar, die helle Haut und die unzähligen Sommersprossen. Charlotte hatte sie nie kennengelernt, sie war kurz nach

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