Schneegestöber (German Edition)
sei Dank, nicht«, erklärte ihre Mutter und tätschelte liebevoll ihre Hand.
»Am besten, du gehst auf dein Zimmer.«
»Aber, Mama!« protestierte Paulina. »Ich will…«
»Paulina, du hast gehört, was deine Mutter sagte«, fiel ihr der Vater streng ins Wort. »Geh auf dein Zimmer.«
Paulina schob beleidigt die Unterlippe vor, warf ihre Serviette auf den Tisch und stapfte wütend nach draußen.
»Ich finde, Sie messen dem Geschehen viel zuviel Bedeutung bei«, meldete sich nun der Earl of St. James mit ungerührter Stimme zuWort. »Warum sollte sich ein Mann nicht vergnügen dürfen, wenn ihm der Sinn danach steht.«
»Nicht vergnügen dürfen?« Lady Aldwin war außer sich.
»Sie vergessen, mein Herr, die Gegenwart einer Dame!« fuhr Mr. Aldwin auf. Nun stieg auch etwas Farbe in seine blassen Wangen.
»Die Zunge ist oft des Menschen Verderben«, murmelte Mr. Finch böse. »Doch was kann man wohl von einem Bastard anderes verlangen. Wie der Herr so ’s Gescherr.«
St. James war, als könne er seinen Ohren nicht trauen. Mit fassungslosem Blick und zusammengekniffenen Lippen starrte er den Geistlichen an. Dieser zuckte instinktiv auf seinem Stuhl zurück. »Würden Sie wohl so gut sein, Sir, Ihre Worte zu wiederholen?« erkundigte sich der Earl mit schneidendem Tonfall: »Mir war, als habe ich Sie nicht richtig verstanden?«
Mary Ann, die sich vergeblich bemüht hatte, dieser seltsamen Unterhaltung zu folgen, hielt es für angebracht, einzugreifen. »Guten Morgen«, grüßte sie betont höflich von der Tür her.
Mr. Aldwin sprang auf, um ihr den Stuhl zurechtzurücken. Ein Blick seiner Gattin zeigte ihm, wie wenig sie von dieser höflichen Geste dem jungen Mädchen gegenüber hielt. Mary Ann dankte ihm jedoch freundlich und nahm Platz. Erwartungsvoll blickte sie in die Runde. »Dürfte ich erfahren, worum es in diesem Gespräch geht?« erkundigte sie sich.
St. James warf dem Kaplan noch einen letzten verachtenden Blick zu, bevor er sich ihr zuwandte: »Dieses Flittchen hat Al in sein Bett gezogen, und nun will man ihn dafür verantwortlich machen«, erklärte er kalt.
»Sir!« rief Mrs. Aldwin entsetzt, und ihre Stimme klang wie ein schrilles Kreischen. »So sag doch etwas, James. Verbiete diesem ungehobelten Kerl, in meiner Gegenwart in einem derartigen Tonfall zu sprechen.«
»Weil du das Wort des Herrn verworfen, hat er dich verworfen.« Obwohl St. James den Kaplan sichtlich eingeschüchtert hatte, konnte sich dieser dieses Zitat dennoch nicht verkneifen.
»Welches Flittchen?« fragte Mary Ann verständnislos.
»Na, Kitty natürlich«, erwiderte St. James ungeduldig. »Von wem sollen wir denn sonst sprechen? Deine Dienerin Kitty ist gemeint.«
Mary Ann war viel zu entsetzt, um irgend etwas antworten zu können. »Was ist mit Kitty?« flüsterte sie nur. Kitty. Sie hatte sich schon gewundert, warum ihre Freundin nicht wie jeden Morgen zu ihr aufs Zimmer gekommen war. Und nun empfing man sie hier mit diesen absurden Vorwürfen.
»Wir müssen Ihnen sagen, Miss Rivingston, wird sind empört«, erklärte nun Mrs. Aldwin, und ihre Nase schien noch einige Zentimeter höher aufgerichtet, als dies üblicherweise der Fall war. »Ihre Diener bringen Unmoral und Sünde in dieses ehrenwerte Haus.«
Sie sprach absichtlich nicht weiter, da sie es genoß, das Mädchen weiter in Unwissenheit zappeln zu lassen.
Mr. Finch, die Wangen noch immer stark gerötet, nickte zustimmend. »Unmoral und Sünde. Und Sie wissen ja, Miss, wer sündigt, verstößt gegen Gottes Gesetz. Und Ihre Diener haben gesündigt, Miss, gegen Gottes Gesetz verstoßen, wie ich schon sagte.«
»Nun kommen Sie endlich auf den Punkt, Sie langweiliger Schwätzer«, unterbrach ihn St. James brüsk. »Die Wahrheit ist, Schwester«, er wandte sich wieder Mary Ann zu und betonte das letzte Wort mit merkbarem Zynismus: »Man hat heute morgen deine Diener in flagranti ertappt.«
»In flagranti ertappt?« wiederholte Mary Ann und war weit davon entfernt, die Geschichte zu verstehen. Es mußte sich um etwas Verabscheuungswürdiges, durch und durch Schlechtes handeln, soviel war sicher. Doch was um alles in der Welt konnten Kitty und Al Brown Verabscheuungswürdiges getan haben? »Kannst du mit dieser Geschichte ganz von vorn beginnen, Bruder?« bat sie matt. »Ich verstehe nicht, was du meinst.«
Bevor Seine Lordschaft mit der Erzählung beginnen konnte, meldete sich Mr. Finch zu Wort: »Es war heute morgen«, erklärte er. »Ich war wie immer in
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