Schneegestöber (German Edition)
»Doch warum machst du dir unnötige Sorgen? Was sollen die anderen uns anhaben können? Du bist der Sohn eines Herzogs, ich bin die Tochter eines Herzogs. Wir werden einfach die Wahrheit verkünden, unsere Koffen packen und abreisen.«
Al ging mit langsamen Schritten zu ihr und setzte sich auf die Bettkante: »Ich glaube, du hast einiges nicht bedacht, Missy«, sagte erernst und strich ihr mit liebevoller Geste eine Haarlocke aus der Stirn. »Wir können nicht so mir nichts, dir nichts die Wahrheit sagen. Was gäbe das erst für einen Wirbel, wenn man erfährt, daß die hochwohlgeborene Miss Charlotta Stapenhill sich als Dienerin ausgab, ebenso wie der ehrenwerte Viscount Lornerly? Wir haben unseren Gastgeber mit Absicht getäuscht. Und dann würde man auch hinter das Geheimnis von St. James und Miss Rivingston kommen. Nein, die beiden dürfen wir in diesen Skandal auf keinen Fall hineinziehen.«
Kitty machte ein betroffenes Gesicht: »Heißt das, wir müssen bis zu unserem Lebensende Diener spielen? Ich glaube, ich halte es keinen Tag länger aus.«
Al lächelte zustimmend: »Mir macht es auch nicht den geringsten Spaß, das kannst du mir glauben. Und dennoch, wir müssen uns eine Möglichkeit überlegen, von hier fortzukommen, ohne daß unser Ruf unwiederbringlichen Schaden erleidet. Und ohne daß St. James und Mary Ann in die Geschichte verwickelt werden. Und überhaupt: Wohin wollen wir uns wenden, wenn es uns gelingt, von hier fortzukommen?«
»Ich dachte, ich dachte…«, stammelte Kitty und wagte vor Verlegenheit nicht, ihr Gesicht ihrem Bräutigam zuzuwenden. »Ich dachte, wir würden zu dir nach Hause fahren, du wolltest doch zum Landsitz deiner Eltern, nicht wahr?«
»Aber sicher wollte ich das, meine Süße«, bestätigte Al. »Doch Windon Hall liegt eine Reise von mindestens zwei Tagen von hier entfernt. Du kannst doch unmöglich annehmen, du könntest mit mir, einem unverheirateten Mann, eine Nacht im Gasthaus verbringen. Ohne eine passende Dame als Begleitung. Wenn uns jemand dabei sieht, das wäre erst ein gefundenes Fressen für die Klatschbasen. Was hier im Haus geschehen ist, das wissen nur Viscount Bakerfield und der Kaplan. Und die beiden verlassen das Haus Jahr und Tag nicht. Na, und die Aldwins. Ich hoffe, die können davon überzeugt werden, die Angelegenheit nicht herumzuerzählen.«
Kitty war nun wirklich ratlos: »Es ist zu dumm, daß man immer auf die Konventionen achten muß«, warf sie unwillig ein. »Da denkt man, man sei ein freier Mensch, und dabei müssen so viele unsinnigeRegeln beachtet werden. Ach, wenn wir doch schon verheiratet wären und tun und lassen könnten, was wir wollen.«
Al strahlte: »Du willst mich also wirklich noch heiratend« erkundigte er sich in scherzhaftem Ton. »Wenn das so ist, hast du gegen eine sofortige Heirat etwas einzuwendend Oder gibt es Verwandte, die du bei deiner Trauung dabeihaben möchtest?«
»Eine sofortige Trauung?« Kitty klatschte in die Hände. »Du meinst hieri Auf Bakerfield-upon-Cliffs? Was für eine amüsante Idee. Natürlich habe ich nichts einzuwenden. Mary Ann ist die einzige, die ich bei meiner Hochzeit dabeihaben will, und sie ist ja hier. Denkst du wirklich, daß sich das machen läßt?«
»Ich glaube nicht nur, daß sich das machen läßt«, antwortete Al amüsiert. »Ich denke, man wird uns dazu zwingen.«
»Zwingend« Kitty konnte es nicht glauben.
»Aber natürlich, Missy. Man wird die unehrenhaften Diener dazu zwingen zu heiraten.« Er hob anklagend den Zeigefinger, wie es Mr. Finch gerne tat, und erklärte, indem er sich bemühte, dessen Tonfall zu treffen: »Moral muß Moral bleiben. Nur eine Ehe kann das sündhafte Vergehen tilgen!«
Über diesen frechen Vortrag mußte Kitty kichern, und er stimmte in ihr Lachen ein. Sie fielen sich in die Arme und lachten herzlich, während sie sich gegenseitig immer wieder kleine Küsse auf Wangen und Nacken verteilten. In diesem Augenblick drehte sich der Schlüssel im Schloß, die Tür wurde aufgerissen, und Mary Ann stürmte ins Zimmer: »Diese dumme Person hat euch tatsächlich eingeschlossen!« begann sie und unterbrach erschrocken: »Kitty! Werdet ihr wohl aufhören, wenn ich mit euch spreche!« Sie gab der Tür einen unsanften Stoß, so daß diese krachend ins Schloß fiel.
Die beiden Verliebten stoben auseinander, und Mary Ann war, als habe sie ihre Freundin noch nie so schuldbewußt erlebt. Al hatte sich rasch wieder gefangen. Er erhob sich von der Bettkante und kam
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