Schneegestöber (German Edition)
die Lippen: »So sprich doch etwas leiser«, forderte sie ihn auf.
»In deine Kammer?« wiederholte Al, diesmal flüsternd. Kitty war bereits vorausgeeilt, und er bemühte sich, ihr zu folgen. Das war nicht leicht, denn das Treppenhaus war schmal, und er mußte aufpassen, nicht mit dem Tablett an den Seitenwänden anzustoßen. Oben angelangt, hielt er Kitty mit der linken Hand an der Schulter fest und zwang sie so, sich umzudrehen: »Soll das heißen, St. James wartet in deiner Kammer?« erkundigte er sich mit zusammengebissenen Zähnen.
Kitty mußte lächeln. Sie hatte sich nicht geirrt. Al war tatsächlich auf Seine Lordschaft eifersüchtig. Rasch öffnete sie die Tür zu ihrem Zimmer und hieß mit einer weit ausholenden Geste den Diener eintreten. Es war stockdunkel im Raum, im Kamin brannte ein kleines Feuer. Frank mußte erst vor wenigen Minuten hiergewesen sein, denn ein neues Stück Holz, das noch kaum Feuer gefangen hatte, lag in den Flammen.
»Komm herein«, flüsterte Kitty. »Du kannst das Tablett auf die Kommode stellen. Nein, nicht auf den Tisch. Dieser wackelt bedenklich, und ich fürchte, daß er bald zusammenfällt.«
Sie begann, die Kerze im Wandleuchter über ihrem Bett anzuzünden.
Al kam ihrem Befehl nur allzu gerne nach und stellte das schwere Tablett auf der Kommode ab. Dann blickte er sich suchend um. »Und wo ist jetzt St. James, wenn ich fragen darf.«
Kitty zuckte mit den Schultern: »Unten im Salon nehme ich an«, sagte sie leichthin.
»Im Salon? Heißt das, daß du ihn erst zu späterer Stunde hier erwartest?«
Kitty schüttelte ungeduldig den Kopf: » No, naturalmente no , das heißt es nicht! Seine Lordschaft wird mich gar nicht aufsuchen. Wie kommst du auf diese lächerliche Idee?«
Al verstand kein Wort: »Nicht aufsuchen?« wiederholte er. »Und für wen ist dann der Grog?«
»Na, für wen wohl? Für dich natürlich«, erklärte sie, als sei dies das Selbstverständlichste auf der Welt. Al starrte sie regungslos an. Seine Miene verriet nicht, was er über diese erstaunliche Äußerung dachte: »Kannst du mir bitte erklären, was du meinst, Miss Stapenhil?« forderte er sie schließlich auf.
Kitty begann sich unter seinem regungslosen Blick unbehaglich zu fühlen. Sie hatte sich gedacht, Al würde sich freuen, würde … ach, sie wußte auch nicht, was sie erwartet hatte. Seine ablehnende Haltung verwirrte sie. »Du wärst doch sicher wieder in dein kaltes Zimmer zurückgegangen«, wandte sie ein und hatte plötzlich das Gefühl, sich für ihr Verhalten entschuldigen zu müssen. »Du hättest doch Frank weiterhin nicht verraten, nicht wahr?«
Al nickte. »So ist es«, bestätigte er ungerührt.
»Und du hättest dir damit eine Lungenentzündung geholt«, fuhr Kitty auf.
Al schien zu überlegen: »Möglich«, gab er schließlich zu.
»Na, siehst du, und das konnte ich doch nicht zulassen. Schließlich sind wir doch… Kollegen, Dienerkollegen, nicht wahr?« erklärte Kitty etwas hilflos.
»Sind wir nicht, Missy, und das weißt du genau«, widersprach Al und fragte sich gespannt, worauf sie hinauswollte. »Du bist meine Herrin, und ich bin dein Pferdeknecht.«
»Ach, ich weiß, ich weiß.« Kitty war von diesem berechtigten Einwand nicht gerade begeistert. »Aber trotzdem, oder gerade deshalb,ich kann es nicht zulassen, daß du dir eine Lungenentzündung holst und stirbst. Und da dachte ich …« Sie stockte. Sie hatte sich nicht vorgestellt, daß es so schwierig sein würde, ihm ihren Plan zu enthüllen.
»Und da dachtest du …?« wiederholte er lauernd.
Sie atmete tief durch. »Und da dachte ich, wenn es schon im Hause so üblich ist, daß Diener bei den Hausmädchen übernachten, dann wirst du eben bei mir schlafen.« Jetzt War es heraus. Jetzt waren diese unglaublichen Worte ausgesprochen. Als Al nicht antwortete, warf sie ihm einen vorsichtigen Seitenblick zu. Sein Gesichtsausdruck war so seltsam, daß sie ihn nicht deuten konnte:
»Ich soll bei dir schlafen?« erkundigte sich Al, und es war ihm anzumerken, daß er nicht wußte, ob er empört oder belustigt sein sollte. »Was für einen unehrenhaften Antrag machst du mir denn da, Missy? Ich muß gestehen, ich bin nahe daran zu erröten.«
»Unehrenhaften Antrag!« wiederholte Kitty schockiert. Als sie das Blinzeln in seinen Augen bemerkte, lachte sie befreit auf. »Ach, du willst mich bloß necken. Natürlich mache ich dir keinen unehrenhaften Antrag. Doch sieh dich um, in diesem Zimmer stehen zwei Betten. Im
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