Schneegestöber (German Edition)
die Küche hinuntergegangen, um das Frühstück für Seine Lordschaft abzuholen. Sie fragen sich wahrscheinlich, warum ich dies selbst tue und keinen Diener damit beauftrage. Die Frage ist natürlich berechtigt. Aber ich muß Ihnen erklären, daß dies eine sehr heikle Aufgabe ist. Und darum habe ich beschlossen, michselbst ihrer anzunehmen. Schließlich sorge ich dafür, daß das Frühstücksei Seiner Lordschaft exakt drei Minuten gekocht wird und daß das Porridge…«
Seine Lordschaft war bereits auf das äußerste gereizt und damit so unhöflich, wie Mary Ann ihn noch nie erlebt hatte: »Das interessiert doch keinen«, unterbrach er unhöflich. »Wenn Sie schon die ganze Geschichte erzählen wollen, dann tun Sie es auch. Aber kurz und bündig.«
»Mr. Finch war gerade in der Küche, als Molly eintraf. Dieses blasse Mädchen, Sie kennen sie ja. Von dem man immer denkt, es habe Rachitis. Nun, das Mädchen war außer sich, was ja verständlich ist…«, nützte Mrs. Aldwin die kurze Gesprächspause, erfreut, ihr Wissen selbst weitergeben zu können.
»Wenn Sie gestatten, werde ich weitererzählen, Madam«, fiel ihr Mr. Finch ins Wort. »Sie waren schließlich nicht dabei. Aber ich war es.« Er unterbrach sich kurz und warf Mary Ann, die ihm gegenübersaß, einen vorwurfsvollen Blick zu. »Ich war also in der Küche, als Molly hereingelaufen kam. Sie haben ja eben gehört, Molly ist die Spülmagd, ein kleines unscheinbares Ding. Doch ich kenne sie schon lange, keine Spur von Rachitis.« Diese letzten Worte waren an Mrs. Aldwin gerichtet, die indigniert die Lippen verzog. »Man hatte sie geschickt, um Ihre Dienerin zu wecken«, fuhr Mr. Finch fort. »Zu wecken, Miss Rivingston! Welche absurde Idee an und für sich. Wie pflichtvergessen muß diese Person sein, wenn man jemanden ausschicken muß, um sie zu wecken. Aber gut, es ist Ihre Dienerin, Miss. Sie müssen wissen, wen Sie einstellen.« Der Kaplan machte eine weitere kurze Pause, um dann noch eine Spur lauter fortzufahren: »Und was sieht Molly, das arme unschuldige Kind, als sie eben das Zimmer dieser Kitty – ein unchristlicher Name für einen unchristlichen Menschen – das Zimmer dieser Kitty betritt? Was sieht sie da? Ihren Diener, Miss. Ihren Diener Al, der sich, ich wage es gar nicht auszusprechen, soeben die Hosen anzog.«
»Herr Kaplan!« Mrs. Aldwin schien einer Ohnmacht nahe.
Mary Ann erging es ähnlich: »Sie müssen sich irren!« rief sie aus. »Das kann ich nicht glauben.« Sie konnte es wirklich nicht glauben. Kitty mochte Al nicht besonders. Die beiden stritten doch ständig,und Kitty hatte immer wieder am Benehmen und an der Sprache ihres Dieners etwas auszusetzen. Gut, die beiden waren viel zusammen in letzter Zeit. Wußte sie wirklich, immer was sie taten?
»Ich sehe, Sie sind entsetzt, Miss Rivingston. Das gereicht Ihnen zur Ehre«, meldete sich Mr. Aldwin zu Wort.
»Ich habe Seine Lordschaft, den Viscount, umgehend von dem Vorfall in Kenntnis gesetzt«, fuhr Mr. Finch fort. »Natürlich teilt Seine Lordschaft meine Meinung. Ein derart unsittliches Betragen kann unter diesem frommen Dach nicht geduldet werden. Das Lumpengesindel muß heiraten.«
»Heiraten!« rief Mary Ann völlig entgeistert. Der Geistliche nickte, und wieder wackelte sein Doppelkinn bei dieser Bewegung. »Heiraten oder es wird ausgepeitscht und fortgejagt«, erklärte er mit sichtlicher Befriedigung.
Kitty sollte Al heiraten? Die Tochter eines Herzogs sollte einen Pferdeknecht heiraten? Das war unmöglich. Mary Ann beschloß, St. James die Wahrheit zu sagen. Sie mußte ihm sagen, wer Kitty wirklich war. Vielleicht wußte er einen Ausweg aus dem Dilemma.
»Ich habe mit Al erst unlängst gesprochen«, meldete sich der Earl nun überraschend zu Wort. »Er sagte mir, daß seine Absichten ehrbar sind und daß er Kitty zu heiraten beabsichtige.«
Mary Ann schnappte nach Luft: »Das sagte er? Ich meine, du hast mit Al über Heirat gesprochene Und er sagte tatsächlich, er wolle Kitty zu seiner Frau machen?« Es schien, als habe nun auch St. James völlig den Verstand verloren. Doch dieser saß da, ruhig und aufrecht wie gewöhnlich, und nickte gelassen: »So ist es. Ich habe ihm natürlich gesagt, daß dies ein Wahnsinn wäre.«
Dem konnte Mary Ann nur aufatmend zustimmen. Doch seine nächsten Worte setzten sie erst recht in Entrüstung. »Es wäre doch ein Wahnsinn, wenn er sich so wegwerfen würde«, fuhr der Earl fort und faltete seine Serviette zusammen.
Nun war
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