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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
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ausgehungert, ließen essich mit gutem Appetit schmecken. Wein war keiner im Hause, aber das Ale, das der Wirt auftischte, traf die Zustimmung Seiner Lordschaft. Die Damen begnügten sich mit Johannisbeersaft, den die Wirtin im Herbst selbst eingekocht hatte.
    Kittys schlechte Laune hatte sich in der Zwischenzeit verbessert, und die drei begannen ihre kleine Maskerade zu genießen. Es war amüsant, die Wirtin zu beobachten, wie sie sich nun vor Freundlichkeit nahezu überschlug und wie sie versuchte, den Gästen alles recht zu machen. Die Unterhaltung bei Tisch war fröhlich und lebhaft. Kitty schilderte ihr Leben in Spanien und erinnerte sich dabei auch an zahlreiche lustige Begebenheiten, die sie Mary Ann noch nicht erzählt hatte. Al berichtete von seinen letzten beiden Arbeitsstellen bei Bauern nahe Bath. Obwohl er über die zahlreichen Vorkommnisse selbst am lautesten lachte, konnte er die Mädchen nicht täuschen. Sie wußten, daß es eine schwere Zeit für ihn gewesen war. Mary Ann lauschte den Anekdoten der beiden anderen mit Interesse und sichtlichem Vergnügen. Sie selbst schwieg jedoch. Was hätte sie auch schon zu erzählen gehabt? Nachdenklich ruhte ihr Blick auf dem Gesicht des Pferdeknechts. Es war ihr, als sehe sie ihn zum ersten Mal. Warum waren ihr seine feingeschnittenen Gesichtszüge bisher nicht aufgefallen? Die makellosen, strahlend weißen Zähne? Die klugen, durchdringenden blauen Augen? Als Al merkte, daß sie ihn musterte, hob er fragend kaum merklich die linke Augenbraue in die Höhe. Er sah ihr direkt in die Augen. Ein zartes Rot huschte über Mary Anns Wangen, bevor sie sich abwandte und ihren Blick wieder auf die Speisen vor ihr auf dem Teller richtete.
    Nach einem zeitigen Frühstück brachen sie auf. Es hatte aufgehört zu schneien. Der Schnee auf der Straße war hart und festgefroren und knirschte unter den Rädern der Kutsche. Auf dem Kutschbock saß Al und bot einen wahrlich seltsamen Anblick. Zum einen hatte er sich, trotz Kittys wiederholter Aufforderung, an diesem Morgen geweigert, sich zu rasieren. Sein Bartwuchs war im Gegensatz zu seinen blonden Haaren erstaunlich dunkel. Kräftige Bartstoppeln bedeckten Wangen und Kinn. Er sah beinahe so aus wie an jenem Tag, als Mary Ann ihn von der Straße aufgelesen hatte. Das ist nun noch nicht einmaleinen Monat her, dachte Mary Ann im stillen. Kaum zu glauben, wieviel seither geschehen war.
    »Ein Bart ist gut gegen die Kälte«, erklärte Al hartnäckig. »Sie müssen sich ja nicht den Wind um die Ohren blasen lassen. Missy. Sie sitzen in der warmen Kutsche…«
    »Ha, warme Kutsche!« entgegnete Kitty. »Sie wissen selbst, daß es sehr kalt ist. Und was soll das für ein Unding sein?«
    Al drehte das braune Etwas in der Hand und grinste. »Schick, nicht? Das ist eine Mütze. Ich habe sie der Wirtin abgekauft.« Er setzte sie auf, und seine Augen blitzten vor Vergnügen. Er wußte, daß diese Kopfbedeckung kaum etwas von seinem Gesicht freiließ. Sie thronte wie eine große viereckige Schachtel auf seinem Kopf und bedeckte die Stirn zur Gänze. Breite, mit Fell besetzte Klappen schützten Ohren und Wangen. Mit einem derben braunen Band wurde die Mütze am Hals zugebunden.
    »Diese Mütze ist häßlich«, urteilte Kitty verächtlich.
    »Aber warm«, entgegnete Al. »Soll ich auch eine für Sie besorgen, Missy?«
    Mary Ann lachte vergnügt. Kitty warf ihm, selbst ein Lächeln nur mit Mühe zurückhaltend, einen strengen Blick zu. Dann ließ sie sich von ihrem Diener in die Kutsche helfen.
    Sie erreichten London in den frühen Nachmittagsstunden. Al lenkte mit geübter Hand die Pferde durch die belebten Straßen. Kitty und Mary Ann preßten ihre Nasen an die Fensterscheiben: Wie viele Leute hier unterwegs waren! Wie arm und heruntergekommen die Häuser aussahen. Und dazu der Schmutz und das Geschrei der Menschen! Das sollte die heißersehnte Stadt ihrer Träume sein? Der Mittelpunkt des vornehmen Gesellschaftslebens? Doch nach einiger Zeit wurden die Straßen ruhiger, die Häuser machten einen gepflegten und eleganten Eindruck. Diener in farbiger Livree verrichteten geschäftig ihre Botengänge. Hausmädchen in sauberen Kleidern eilten ihres Weges. Von den vornehmen Bewohnern all dieser Straßen und Plätze war nicht viel zu sehen. Vermutlich ruhten sie sich um diese Uhrzeit nach dem Lunch aus, wenn sie überhaupt an diesem Morgen schon aufgestanden waren. Wenn man den Berichten der Klatschkolumnen,die Miss Chertsey so liebte, glauben

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