Schneegestöber (German Edition)
angelangt. Was konnte es schaden, diesen unkonventionellen Weg zu versuchen? Energisch, bevor er es sich wieder anders überlegte, zog er am Klingelstrang, Der Butler erschien, kaum war der letzte Ton verhallt.
»Higson, wie hieß die Detektei, die Lord Petersham letzten Herbst beschäftigte, als er wissen wollte, ob seine Gattin ihn betrügt?« erkundigte sich Seine Lordschaft. Das bewundernswerte Gedächtnis seines Butlers ließ ihn auch diesmal nicht im Stich: »Goldsmith, Mylord, Samuel William Goldsmith. Er hat sein Büro in der City nahe St. Paul’s. Warwick Lane, wenn ich nicht irre.«
Der Earl nickte erfreut: »Goldsmith, richtig. Einer der Burschen soll ihn hierherbringen. Umgehend.«
Obwohl Higson die Abneigung Seiner Lordschaft zu warten kannte und umgehend Sam, den ersten Stallburschen losschickte, wurde die Geduld Seiner Lordschaft auf eine harte Probe gestellt. Es erwies sich, daß der Detektiv sein Büro gegen zehn Uhr morgens verlassen hatte und seine Mitarbeiter nicht wußten, wohin er sich begeben hatte. Was das Auffinden ihres Vorgesetzten betraf, so schien seine Mitarbeiter der Spürsinn zu verlassen. Sam blieb also nichts anderes übrig, als zu warten. Eine Pflicht, der er nicht ungem nachkam. Das Sitzen in einem geheizten Büro war allemal angenehmer als die Arbeit in den zugigen Stallungen. Am frühen Nachmittag wurde dann endlich die Eingangstür aufgeschlossen, und ein kleiner untersetzter Mann in einem schwarzen, fast bodenlangen Mantel stürzte herein. Er warf seinen breitkrempigen Hut mit oft geübter Grandezza auf den bereitgestellten Kleiderständer und schüttelte dann den Schnee von seinenSchultern. Es war offensichtlich, daß es wieder zu schneien begonnen hatte. Der Mann verkündete mit einer für seine Gestalt ungewohnt hohen Fistelstimme, daß ihn keine zehn Pferde mehr bei diesem Wetter vor die Türe brächten. Ein Kanzleidiener eilte heran, um seinen Herrn auf die Anwesenheit des Stallburschen Seiner Lordschaft aufmerksam zu machen. Mr. Goldsmith vergaß seinen eben getanen Schwur, griff nach seinem Hut und befahl dem Stallburschen, ihm zu folgen. Ein Auftrag Seiner Lordschaft, des Earl of St. James? Da würde es schon eines viel heftigeren Schneesturms bedürfen, daß er sich dieses Geschäft entgehen ließe.
Der Empfang, der ihm in der Bibliothek Seiner Lordschaft in der Brook Street bereitet wurde, war äußerst frostig. Der Earl, der die Wartezeit damit ausgefüllt hatte, die Idee, einen weiblichen Detektiv einzuschalten, hin und her zu wälzen, war unschlüssiger denn je. Diese Unschlüssigkeit gepaart mit der ihm ohnehin eigenen Ungeduld hatte ihn äußerst gereizt werden lassen. Er musterte Mr. Goldsmith mit strenger Miene. Er war sich nicht sicher, ob ihm dieser kleine Mann gefiel. Die tiefliegenden Augen schienen Intelligenz, aber auch Verschlagenheit zu verraten. Die schrägen, schmalen Augenbrauen gaben dem Mann etwas Raubtierähnliches. Ein Eindruck, der nicht so recht zu den breiten vollen Lippen passen wollte. Seine Lordschaft bot dem Detektiv mit knapper Handbewegung an, Platz zu nehmen, und schilderte ihm dann mit wenigen Worten sein Problem.
Mr. Goldsmith hörte aufmerksam zu, nickte zum Zeichen, daß er dem schnellen Vortrag folgen konnte, mehrmals mit dem Kopf und verzichtete darauf, Zwischenfragen zu stellen. Er kannte die vornehme Gesellschaft. Die Anweisungen, die er bekam, waren selten präzise und klar. Fragen waren lästig. Der kurze Vortrag Seiner Lordschaft war zwar recht aufschlußreich, und dennoch war er weit davon entfernt, sich ein klares Bild der Sachlage machen zu können. Ein Umstand, den er keineswegs zugeben wollte. Es würde ihm schon gelingen, im Laufe der Zeit nähere Details von der Dienerschaft zu erfragen.
»Ich werde mich persönlich Ihres Falles annehmen, Mylord«, verkündeteer großartig, nachdem der Earl geendet hatte. »Sie können versichert sein…«
St. James hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Da ist noch etwas«, sagte er. »Ich vergaß wohl, dies zu erwähnen. Ich wünsche eine Frau. Eine Detektivin nennt man das wohl.« Er sah, daß Mr. Goldsmith erbleichte. »Das ist doch für Ihr Büro kein Problem?« erkundigte er sich deshalb lauernd.
»Eine Frau?« stammelte Goldsmith, zum ersten Mal seit Jahren wirklich aus der Fassung gebracht. »Was können Sie wohl damit meinen? Wozu soll das gut sein…«
»Das lassen Sie meine Sorge sein«, unterbrach ihn Seine Lordschaft kühl. »Sie schicken mir Ihre beste
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