Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
Vom Netzwerk:
Lächeln nicht unterdrücken, »daß Kittys Vormund einiges dagegen einzuwenden hat, wenn Sie mit ihr tändeln.«
    »Tatsächlich? Nun, ich glaube nicht, daß mich die Meinung des werten Herrn Vormund wirklich interessiert«, entgegnete Seine Lordschaft kühl. »Sie wollen mir also die Locken abschneiden. Sind Sie dazu überhaupt in der Lage?«
    »Ich bin zu allerhand in der Lage«, entgegnete Mary Ann hintergründig.
    In diesem Augenblick kam Kitty zurück und reichte ihrer Freundin die gewünschte Schere. Seine Lordschaft verzog das Gesicht bei ihrem Anblick und schickte sich überraschend schnell in das Unvermeidliche. Kitty rückte Kerzen zurecht, die Mary Ann ausreichend Licht bieten sollten. Ein Stuhl wurde zurechtgestellt und St. James gebeten, darauf Platz zu nehmen. Kitty lehnte sich an die Wand neben dem Kamin und beobachtete aus einiger Entfernung, wie Mary Anns geübte Hand die Haare um gut eine Handbreit kürzte. Ob es wohl Seine Lordschaft beruhigt hätte, daß Mary Anns Haarschneidekünste daher rührten, daß Mrs. Clifford sie gebeten hatte, die Haare des Küchenpersonals und der Stallburschen zu schneiden? Mary Ann hatte vor einigen Jahren im Winter einem Stubenmädchen die Haare geschnitten, das sich bei einem Sturz auf der Kellertreppe das Bein gebrochen hatte. Sie war danach längere Zeit nicht in der Lage, in die Stadt zu fahren, und Mary Ann hatte ihre Haarschneidekünste an ihr ausprobiert. Mrs. Clifford war mit dem Ergebnis hochzufrieden gewesen. Und fortan wurde sie eingesetzt, diese Tätigkeit in regelmäßigen Abständen am gesamten Personal der Schule zu verrichten. So sah dieses immer gepflegt und ordentlich aus, und Mrs. Clifford hatte einen erheblichen Geldbetrag gespart.
    Sie sprachen kein Wort, bis Mary Ann mit dem Haarschneiden fertig war und mit kritischem Blick ihr Werk begutachtete. Als sie Seiner Lordschaft schließlich erlaubte aufzustehen, erhob sich dieser und ergriff eine der Servietten, die neben dem Feuer zum Trocknen aufgehängt worden waren. Mit raschen Bewegungen bemühte er sich, das fast blinde Glas des Spiegels zu säubern, der neben der Eingangstür aufgehängt worden war. Dann hob er eine Kerze hoch und betrachtete sich kritisch von allen Seiten. »Hm«, sagte er schließlich.
    »Hm. Etwas fremd. Dennoch, gute Arbeit, Miss Mary Ann.« Er schwieg, richtete sich gerade auf und schenkte seinem Spiegelbildein ironisches Lächeln: »Jetzt sehe ich tatsächlich aus wie der gute, alte Justin Rivingston.«
    Mary Ann, die eben dabei war, die abgeschnittenen Locken vom Stuhl auf den Boden zu wischen, so daß der Wirt nur mehr aufkehren mußte, hielt überrascht inne: »Justin Rivingston?« wiederholte sie.
    »Justin Rivingston«, bestätigte Seine Lordschaft. »Ihr Bruder, Miss Rivingston.« Er machte eine gekonnte Verbeugung.
    »Mein… ich meine, Miss Rivingstons Bruder heißt John«, berichtigte sie ihn.
    Seine Lordschaft nickte, und das kleine Lächeln in seinen Augenwinkeln verstärkte sich: »Ihr ältester Bruder heißt John. Das ist richtig. Aber ich bin ihr zweitgeborener Bruder. Justin.«
    »Ich habe keinen zweiten Bruder«, widersprach Mary Ann mit Bestimmtheit.
    »Aber sicher haben Sie den«, erwiderte Seine Lordschaft mit der für ihn typischen, schnell erwachenden Ungeduld. »Sie haben mich. Justin Rivingston. Merken Sie sich das. Denken Sie denn wirklich, der alte Bakerfield weiß über die Familienverhältnisse der Rivingstons Bescheid? Er kann seit fast fünf Jahren sein Haus nicht mehr verlassen. Und obwohl John Rivingston ein Earl ist, so ist er doch ein so verschrobener Kerl, daß keiner mit seiner Familie auf vertrautem Fuß steht. Außer Linham und sonst ein paar Freunden. Aber die kennt Bakerfield mit Sicherheit nicht.«
    Mary Ann wollte noch etwas erwidern, aber die Miene Seiner Lordschaft duldete keinen Widerspruch.

XIV.
    Zum Glück hatte es in der Nacht nicht weiter geschneit. Der Boden war hart gefroren, und Al brauchte all seine Kraft und sein fahrerisches Können, um die Pferde und den Wagen auf der Straße zu halten. Am Morgen hatte es eine kurze Auseinandersetzung zwischen ihm und Kitty gegeben. Der Bursche war eben dabei, die Pferde anzuspannen, als Kitty mit ihrer Reisetasche ins Freie trat. Er bot dennun schon gewohnten Anblick: Die voluminöse Kappe tief in die Stirn gezogen, die breiten Klappen, die Wangen und Ohren bedeckten, unter dem Kinn zugebunden. Der Bart war längst über das Stadium eines Dreitagebartes hinausgewachsen und bedeckte

Weitere Kostenlose Bücher