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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
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von Miss Westbourne«, forderte sie den Earl statt dessen auf. »Wie sieht sie aus? Was ist sie für eine Frau?«
    Kitty, von der langen Reise müde, war eingenickt und hatte ihren Kopf in die weichen Polster der Kutsche zurückgelegt. Einige der schwarzen Locken hatten sich aus ihrer Frisur gelöst und ringelten sich nun über ihrer Stirn und den von der Kälte geröteten Wagen. Sie sah wirklich allerliebst aus. Zu dumm, daß sie eingeschlafen war. Der Earl überlegte gerade, wie er sie am besten wecken konnte, um seinen Flirt mit ihr fortzusetzen, als ihn Mary Anns Frage aus den Gedanken riß. Er brauchte sich seine Antwort nicht lange zu überlegen: »Miss Westbourne ist blond, klein und sehr hübsch«, erklärte er. »Sie ist unzweifelhaft eine Lady der ersten Kategorie. Sie ist sanft, still, klug und bescheiden.«
    »Der ersten Kategorie?« wiederholte Mary Ann verwirrt. »Was heißt, sie ist eine Lady der ersten Kategorie?«
    Der Earl lachte kurz auf: »Die Ladys der vornehmen Gesellschaft, meine liebe Miss Mary Ann, lassen sich in drei Kategorien einteilen«, erklärte er mit selbstsicherem Tonfall: »Die erste Kategorie ist, wie ich gesagt habe, wohlerzogen und sanft, wie eine Frau sein soll. Sie hat gelernt, dem Manne zuzuhören, auf sein Urteil zu vertrauen und ihm zu gehorchen.«
    »Und so soll eine Lady sein?« erkundigte sich Mary Ann spöttisch.
    Der Earl nickte: »Sicherlich. In die zweite Kategorie gehören jene Blaustrümpfe, die meinen, sich in Bildung und Verstand mit den Männern messen zu müssen«, fuhr er fort. »Diese Damen sind selten hübsch und glücklicherweise nicht zahlreich.«
    »Und die dritte Kategorie?« erkundigte sich Mary Ann zwischen Empörung und Amüsement hin und her gerissen. Es schien tatsächlich so, als würde der Earl seine absurden Behauptungen ernst meinen. »Das sind die herrischen, die von ihrer Mama gelernt haben, daß man Männern seinen Willen aufzwingen muß. Sie sind launenhaft und eigenwillig. Und sie sind mir, auch wenn sie hübsch sind, ein Greuel.«
    Mary Ann konnte sich ein Lachen nicht verkneifen: »Und wie ist es mit der vierten Kategorie?« wollte sie wissen.
    »Die gibt es nicht«, erklärte Seine Lordschaft kategorisch.
    Das wollte nun Mary Ann keinesfalls unwidersprochen hinnehmen. »Also, das scheint mir zu arg!« rief sie aus. »Ihre Einteilung ist lückenhaft, Mylord. Nehmen Sie mich: Ich passe in keine Ihrer drei Kategorien.«
    »Ich sprach von Damen, Miss Mary Ann«, lautete seine kühle Entgegnung, »Damen der Gesellschaft. Sie sind eine Frau aus dem Volke, da ist das etwas ganz anderes.«
    Mary Ann traute ihren Ohren nicht. So ein unverschämter, arroganter Snob. Am liebsten hätte sie ihn mit der Spitze ihres derben Lederstiefels gegen das Schienbein getreten. Damen taten so etwas nicht. Aber wie stand es diesbezüglich mit Frauen aus dem Volke?
    Als sie sich knappe zwei Stunden später Bakerfield-upon-Cliffs näherten, erwachte auch Kitty aus ihrem unruhigen Schlaf. Sie rieb sich die Augen und konnte nur mit Mühe ein herzhaftes Gähnen unterdrücken. Die Straße führte steil bergauf. Die Pferde, von der langen Reise müde, fanden mühsam ihren Weg.
    » Que hora es? Wie spät ist es?« erkundigte sie sich und spähte aus dem Kutschenfenster. Es war schon fast dunkel, die Umgebung außerhalb des Wagens war nur mehr schemenhaft zu erahnen. Zudem hatte es wieder leicht zu schneien begonnen.
    »Ungefähr vier Uhr nachmittags«, entgegnete Mary Ann. »Ich habe mir schon Gedanken darüber gemacht, ob du je wieder aufwachen würdest. Du hast geschlafen wie ein Murmeltier.«
    »Wie ein sehr hübsches Murmeltier«, fügte St. James hinzu, weniger, um Kitty ein Kompliment zu machen, als um Mary Ann zu reizen. Zu seinem Leidwesen beachtete sie weder seinen Einwurf noch das Aufleuchten in Kittys Augen. Sie hatte ihr Gesicht nahe an die kalte Scheibe der Kutsche gedrückt, bemüht, die Umgebung draußen wahrzunehmen: »Ich kann graue Türme und Zinnen erkennen!« rief sie aus. »Dort, seht nur, sie blitzen hinter den Baumkronen hervor. Gebe Gott, daß dies endlich Bakerfield-upon-Cliffs ist. Ich habe dieses Rütteln und Schütteln der Kutsche endgültig satt.«
    Der Weg beschrieb eine enge Kurve. Die Hecken lichteten sich, und die Straße bog in einen breiten Vorplatz ein. »Da, seht!« rief Mary Ann erneut. »Nie hätte ich mir Bakerfield-upon-Cliffs derartig großartig und weitläufig vorgestellt. Was für ein beeindruckendes Gebäude! Es sieht aus wie

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