Schneegestöber (German Edition)
Großvater. Der alte Herr hat Sie noch nie gesehen, nicht wahr, Eure Lordschaft?«
»Nein, er war einer der wenigen von Silvies Verwandten, der nicht zuunserer mißglückten Hochzeit kam. Er ist seit einigen Jahren an den Rollstuhl gefesselt und kann seither das Haus nicht mehr verlassen«, erklärte St. James.
Mary Ann nickte. »Gut. Doch natürlich hat Viscount Bakerfield Ihren Namen bereits gehört. Und er weiß genau, in welchem Zusammenhang Sie mit seiner Enkeltochter stehen. Nehmen wir an, Miss Silvie hält sich nicht auf Bakerfield-upon-Cliffs auf, aber ihr Großvater kennt ihren Verbleib. Wenn wir bei ihm vorsprechen und Sie sich mit Ihrem richtigen Namen vorstellen, dann ist es gut möglich, daß er dafür Sorge trägt, daß Sie Silvie nie zu Gesicht bekommen. Und damit würden wir den Zweck unserer Reise nie erreichen. Es ist zwar nicht fair, aber wir müssen den alten Lord überlisten.«
»Wie willst du das tun?« Kitty hatte ihre Ellbogen am Tisch aufgestellt und ihren Kopf in die Hände gestützt. Mit gekräuselter Stirn hatte sie dem Vortrag ihrer Freundin gelauscht. Jetzt, da es ihr wieder besserging, begann auch sie, die abenteuerliche Suche zu genießen.
»Sie haben doch nicht vor, uns als Bürgerliche auszugeben?« erkundigte sich St. James, und sein Tonfall verriet deutlich die Abscheu, die er bei diesem Gedanken empfand.
Mary Ann schüttelte den Kopf: »Natürlich nicht. Ich denke, daß Viscount Bakerfield uns sonst kaum bei sich aufnehmen würde, und das gehört ja schließlich zu unserem Plan. Ich werde mich als Miss Rivingston vorstellen«, erklärte sie und richtete sich unbewußt auf.
»Miss Rivingston, die auf der Fahrt zu Freunden Seine Lordschaft aufsucht, um Grüße von Reverend Westbourne aus Bath zu überbringen.«
Kitty klatschte in die Hände: »Das ist großartig!« rief sie aus.
St. James runzelte die Stirn: »Ich bin mir noch nicht darüber im klaren, ob ich es auch großartig finde«, murmelte er nachdenklich. »Rivingston? Der Name kommt mir bekannt vor. Wenn ich auch im Moment nicht weiß, woher.«
Mary Ann blickte ihn von der Seite her an. War nun der Augenblick gekommen, daß der ganze Schwindel ans Tageslicht kam? »Der Earl of Ringfield trägt diesen Namen«, sagte sie mit betont gleichmütigem Tonfall. Und dennoch klopfte ihr Herz bis zum Halse.
»Ringfield!« rief St. James aus. »Ja richtig, der gute alte Ringfield. Und Sie wollen sich als eine Verwandte des Grafen ausgeben?«
»Als seine Schwester«, präzisierte Mary Ann.
»Das wird nie und nimmer gutgehen«, antwortete Seine Lordschaft bestimmt.
Kitty kicherte.
»Das sehe ich anders«, entgegnete Mary Ann und vermied, Seiner Lordschaft in die Augen zu sehen. »Miss Rivingston lebt sehr zurückgezogen, wie ich vernommen habe.« Nervös zupfte sie an ihren Manschetten. Es schien, als könne sie den Blick nicht von ihrem Ärmel wenden. »Sie ist nun einundzwanzig Jahre alt«, fuhr sie fort.
»Und doch gab sie nie ihr Debüt in London. Niemand in der vornehmen Gesellschaft kennt Miss Rivingston. Sicherlich hat auch Viscount Bakerfield die junge Dame noch nie gesehen.«
Dem Earl war ihre Nervosität nicht entgangen, er maß ihr jedoch keinerlei Bedeutung zu: »Wenn ich es mir recht überlege, so ist Ihre Idee, sich als Miss Rivingston auszugeben, doch nicht von der Hand zu weisen. Mir ist, als hätte ich vor einigen Jahren im Club vernommen, daß diese Dame in ein Kloster eingetreten sei. Ich kann mich aber auch irren. Ein seltsamer Kerl, dieser Ringfield.«
»Sehr seltsam«, bestätigte Mary Ann trocken. Sie fing Mylords überraschten Blick auf und fügte stammelnd hinzu: »Hab ich irgendwo gehört.« Sie strich ihren Ärmel glatt und setzte sich nun wieder aufrecht in ihrem Sessel zurecht. »Wie Sie selbst sagen, niemand kennt Miss Rivingston. Warum sollte da unser Schwindel auffallen?«
Kitty kicherte lauter.
St. James warf ihr einen irritierten Blick zu: »Na gut, vielleicht ist die Person nicht schlecht gewählt«, gab er widerstrebend zu. »Aber werden Sie das durchhalten?« Er fing Mary Anns verständnislosen Blick auf. »Na, ich meine, werden Sie die Rolle als Schwester eines Earls spielen können? Man wird mit Ihnen plaudern, Sie zum Tee bitten… vielleicht finden wir Silvie nicht bereits in den ersten Tagen, und wir müssen für längere Zeit Quartier auf Bakerfield-upon-Cliffs beziehen. Wissen Sie…« Er wollte fragen, ob sie sich bei den diversen gesellschaftlichen Gelegenheiten zu benehmen
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