Schneekind
es war mir wie eine Ewigkeit vorgekommen, bis er schließlich von mir ließ.
Die blauen Flecken auf meinem Arm entschuldigte ich damit, dass Alex nicht ganz bei sich gewesen sein konnte; verständlich nach dem schrecklichen Tod seines Vaters.
Ich drehte mich zu ihm um. Ich nahm sein Gesicht in beide Hände und sagte: „Alles wird gut.“
„Ich habe Angst“, flüsterte er. Noch nie zuvor hatte er das zu mir gesagt. Ich nahm ihn in die Arme und hielt ihn fest.
„Entschuldigung, aber mir fiel noch etwas ein“, sagte Gerd Engler . So plötzlich, wie er sich verabschiedet hatte, war der Kommissar wieder aufgetaucht. „Wo ist Hendrik?“
Alex legte ein Stück Holz in den Kamin: „Wir wissen es nicht. Er hat sich seit gestern Nacht nicht gemeldet.“
„Ein höchst merkwürdiges Verhalten.“
Sylvia nickte. „Es ist ungeheuerlich, dass er sich noch nicht gemeldet hat. Aber leider sind wir das von Hendrik gewohnt. Papa ist tot. Aber wir werden nachher bei Hendrik vorbeigehen müssen, weil sein Verhalten uns zwingt, uns zu fragen, was mit ihm los ist.“
„Ich verstehe“, nickte Engler und mied Christas Blick. „Da ist noch etwas. Also ich muss das tun, die Akten durchsehen, meine ich, und Hendrik ist bereits zweimal vorbestraft wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Das ist doch richtig, oder? Hatte er ein Drogenproblem?“
„Ja“, sagte Alex nur.
„Hatte er, ich meine, das gehört ja meistens zusammen, finanzielle Probleme?“
„Ja“, sagte Alex und sah Christa an. „Es hat keinen Wert, das zu verschweigen. Gerade gestern Abend haben wir uns deswegen gestritten. Es ging um 30.000 Euro, die Hendrik von meinen Eltern wollte. Er faselte irgendetwas von einer Schenkung und von Steuern, die man dadurch sparen könnte.“
Christa nickte. „Das stimmt.“
Nachdenklich kratzte sich Gerd Engler am Kopf: „Hat er das Geld bekommen?“
„Wir einigten uns auf einen Bruchteil der Summe“, sagte Christa erschöpft.
Engler nickte. „Etwa zwei Minuten nachdem er von dem Champagner trank, ist Friedrich also zusammengebrochen.“ Er räusperte sich. „Sie haben die Flasche und das Glas nicht zufällig aufgehoben?“, fragte er so beiläufig, als hätte er diese Möglichkeit ohnehin schon ausgeschlossen.
„Leider nicht“, sagte Alex. Ich starrte auf das Pflaster an seinem Daumen.
„Hatte Hendrik Gelegenheit, etwas in das Glas zu tun?“, fragte Engler.
„Ja“, sagte ich. „Alex war in der Küche, um eine Serviette zu holen. Sylvia und Christa holten Geschenke von oben. Ich war mit Friedrich im Salon. Während dieser Zeit, das waren vielleicht zwei Minuten, war Hendrik alleine im Wohnzimmer.“
Ich spürte, wie Alex mich ansah.
„Christa“, sagte Gerd Engler. „Hattest du bereits Gelegenheit, nachzusehen, ob etwas von Friedrichs Sachen fehlt? Bankdaten, Sparbücher, Wertpapiere, was weiß ich.“
„4.000 Euro“, sagte Christa leise. „Im Sekretär, wo das Bargeld immer liegt, fehlen die 4.000 Euro, die ich vor den Feiertagen abgehoben habe.“
Alex schnaufte, Sylvia schüttelte den Kopf.
„4.000 Euro?“, fragte Engler. „Das ist viel Geld, Christa. Warum hast du es abgehoben?“
„Weihnachtsgeld“, sagte sie. „Ich verteile es jedes Jahr an Hedwig, unsere Haushälterin, an Petra, unsere Putzfrau, Markus, der Gärtner, dann ist da noch Karl Anton und Paula, die sich um die Pferde kümmern.“
Engler nickte: „Hast du die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass Hendrik seinen Vater vergiftet haben könnte?“
„Ich würde es ihm zutrauen“, warf Alex ein.
Christa schüttelte entschieden den Kopf. „Hendrik mag etwas schwierig sein, das bestreitet ja niemand, aber so etwas würde er nicht tun“, sagte sie. „Niemals. Es muss etwas mit dem Herz gewesen sein“, sagte sie.
„Mama, hör auf, das bringt doch nichts“, sagte Sylvia.
„Aber das hat doch keinen Sinn“, beharrte Christa. „Hendrik erbt doch nichts. Das gesamte Testament ist ja auf mich ausgestellt.“
„Außer einen Pflichtteil.“ Der Kommissar räusperte sich. „Aber du hast recht, Christa, am meisten profitierst du.“
Christa begann wieder zu zittern.
„Vielleicht haben Sie Verständnis“, sagte Alex an den Kommissar gewandt, „dass Vaters Tod für uns alle, vor allem für meine Mutter, ein tiefer Schock ist. Wir haben alle eine anstrengende Nacht hinter uns. Vielleicht ist es besser, wenn Sie jetzt gehen, das verstehen Sie doch.“
„Natürlich, ich wollte ohnehin gerade
Weitere Kostenlose Bücher