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Schneekind

Schneekind

Titel: Schneekind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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biologisch war das gar nicht möglich. Heute war der 27. Dezember, es waren erst drei Tage, seitdem ich mit Alex geschlafen hatte, doch ich spürte es ganz deutlich.
    Nachdem es über ein Jahr bei Alex und mir nicht geklappt hat, sollte ich ausgerechnet in dieser Nacht schwanger geworden sein? Auch dann hätte Frey recht behalten. Meine Phobie blockiere meinen Körper, meinte er; ich müsse mich davon befreien, dann stünde einer Schwangerschaft nichts mehr im Wege.
    „Aaaaaanne!“ Das war Alex. „Wir essen!“
    Ich nahm die Tabletten aus der Ledermappe. Es waren noch drei drin.
    „Schicksal“, hatte er gesagt. Schicksal war etwas, das man nicht vermeiden konnte. Ich nahm einen roten Stift zur Hand und machte einen Kreis um den Namen: Dr. Lars Jordan.

8. Kapitel: 29. Dezember
    Auf Christas Wunsch hin sollte die Beerdigung im kleinen Rahmen stattfinden. „Und wenn es sich irgendwie einrichten lässt“, hörte ich sie am Telefon sagen, „noch in diesem Jahr.“ Christa telefonierte viel in jenen Tagen, auch mit Herrn Bisinger, dem katholischen Pfarrer, zu dem sie ein jahrelanges Vertrauensverhältnis hatte. „Zweimal stehe ich das Ganze ohnehin nicht durch“, sagte sie, „wenn es sich also irgendwie einrichten lässt ...“
    Man einigte sich auf Montag, den 30. Dezember, auf eine Doppelbeerdigung im Kreis der Familie und engsten Freunde.
    Ganz glücklich war zwar niemand mit diesem Plan, am allerwenigsten Herr Bisinger, aber welche Alternative gab es? Eine zweite, separate Trauerfeier für Hendrik abhalten? Gar keine Trauerfeier für Hendrik? Wie man es drehte und wendete, es gab keine zufriedenstellende Lösung.
    „Hendrik war im Grunde kein Mörder“, versicherte Christa, egal, mit wem sie sprach, und niemand – auch Herr Bisinger nicht – widersprach ihr. „Die Polizei konnte ja auch nicht abschließend klären, ob es wirklich Selbstmord war. Wenn man mich fragt, ich denke, es war ein Unfall. Leider hat niemand erkannt, wie stark Hendriks Drogensucht schon fortgeschritten war. Hendrik war letztlich nicht zurechnungsfähig.“ Und immer wieder fügte sie hinzu: „Ich mache mir solche Vorwürfe!“
    Nur im engsten Familienkreis – zu dem ich und Karl Anton mittlerweile gehörten – gab sie eine andere Version der Geschichte preis. Am Sonntagabend saßen Christa, Karl, Alex, Sylvia und ich am Küchentisch zusammen und aßen Kartoffelsuppe.
    „Im Grunde habe ich es kommen sehen. Hendrik war schon als Kind so: sehr impulsiv, sehr radikal“, sagte Christa unvermittelt.
    „Erinnerst du dich noch an die Szene mit dem Schulsport?“, fragte sie Alex, nachdem niemand darauf einging.
    Alex nickte.
    „Hendrik war gerade mal sieben“, erklärte sie. „Sein Arm war übersät mit blauen Flecken. Eine aufmerksame Sportlehrerin fragte, woher die kämen. Wisst ihr, was Hendrik da geantwortet hat?“
    Ich schüttelte den Kopf.
    „Ich hätte ihn geschlagen!“ Bei der Erinnerung füllten sich ihre Augen mit Tränen. „Ich weiß bis heute nicht, was ihn damals geritten hat.“
    „Aufmerksamkeit“, sagte Sylvia und legte ihren Arm um die Mutter. „Er wollte einfach Aufmerksamkeit.“
    Trotz allem, sagte Christa und schnäuzte in die Serviette, gehöre Hendrik zur Familie und werde auch im Familiengrab beerdigt, darauf müsse sie bestehen.
    Ängstlich sah sie ihre Kinder an.
    „Von mir aus“, nickte Alex, dem der Gedanke an den eigenen Tod ohnehin fremd war. „Wenn es dir so wichtig ist, Mama. Ich leg mich dann einfach mal neben Anne“, fügte er lächelnd hinzu und sah mich an.
    In diesem Moment fing ich an zu weinen. Es war wie eine Erlösung, zu spüren, dass ich Alex nicht verloren hatte. Sein Blick war warm und liebevoll gewesen, richtig.
    „Also bleibt es dabei“, sagte Christa. „Hedwig bringt morgen früh Butterbrezeln aus der Stadt mit?“
    Die Trauerfeier sollte um 11 Uhr in der Aussegnungshalle auf dem Friedhof in Sigmaringen stattfinden. Davor war ein kleiner Empfang auf Schloss Albstein geplant, vor allem, weil man auf den Leichenschmaus danach verzichten wollte. Ab 10 Uhr stand es Familienangehörigen und engsten Freunde allerdings offen, nach Schloss Albstein zu kommen, danach wollte man sich gemeinsam auf den Friedhof begeben, der keine hundert Meter Luftlinie vom Anwesen der Marquards entfernt lag.
    Für die Getränke war bereits gesorgt. Im Vestibül hatte Karl einen Tisch aufgestellt für Wassergläser und Flaschen, vier Stehtische mit schwarzen Hussen standen außerdem bereit. Der

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