Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneeköniginnen

Schneeköniginnen

Titel: Schneeköniginnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
Vom Netzwerk:
Stunden wenig, hingen ihren Gedanken nach, genossen
das Vorwärtskommen und versuchten, die Hitze und den Staub zu ignorieren. Sie
durchquerten Oklahoma City, dessen Wolkenkratzerskyline sie entfernt an New
York erinnerte und nicht so recht zwischen die sanften, braunerdigen Hügel
passen wollte.
    Kurz danach trat Katie heftig in die
Eisen und bog mit einem wilden Manöver von der vierspurigen Interstate ab. Als
Anne eben den Mund öffnete, um diese Chaotenfahrweise zu monieren, wies Katie
auf ein Verkehrsschild: »West 66«.
    In seltenem Einvernehmen grinsten sie
sich an, Katie schnippte mit den Finger einen Takt, und sie sangen: »Get your
kicks on Route Sixty-Six!« Da stimmte beinahe jeder Ton.
    Auf bröckelnden Betonplatten, zwischen
denen das Gras üppig gedieh, rappelten sie gemächlich durch Orte mit so
klingenden Namen wie Weatherford, Clinton, Elk City, Sayre und Texola. »Last
McDonalds for 150 Miles« warnte irgendwo dazwischen eindringlich ein Schild.
    »Das ist in der Tat bedrohlich«,
bemerkte Anne.
    Die Straße wurde zusehends schmäler,
der Verkehr nahm ab, das rhythmische Geholpere zu. Es klang beruhigend, beinahe
einschläfernd, wie der ohrwurmhafte, schleppende Takt eines lahmen Country
Songs.
    Sie hielten in Shamrock, weil der
irische Name Katie betörte, tankten den Jeep auf, suchten sich eine Kneipe aus
und bestellten Bier. Anne hatte inzwischen ihre Grundsätze, was Alkoholgenuß
und Autofahren betraf, entschärft.
    »Kein Alkoholausschank«, meinte die
Kellnerin lakonisch. Auf ihrer Kleiderschürze blühten Streublümchen, und sie
hatte eine Frisur wie Marilyn Monroe in den späten Fünfzigern. »Das hättet ihr
in Texola erledigen sollen. Mitbringen darf man’s nämlich.« Ausgerechnet
Shamrock gehörte zu einem »Dry County«.
    Katies Weltbild bekam einen Sprung.
»Ein irischer Ortsname, und dann so was!« Noch immer entsetzt, versenkte sie
ihre Himmelfahrtsnase in einem Reiseführer, der ihr in Memphis in die Hände
gefallen war. Nach einer Weile eröffnete sie feierlich: »He Anne, weißt du
was?«
    »Nein.«
    »Wir sind jetzt in Texas.«
    »Was du nicht sagst. Schau mal raus,
da bindet sicher gerade der Marlboro-Mann sein Pferd an.«
    Katie fuhr unbeirrt fort: »Könnten wir
nicht auf der Sixty-Six weiterfahren? Es gibt sie zwar nur noch teilweise, aber
die Richtung ist dieselbe wie die Interstate 40.«
    »Ich wußte gar nicht, daß eine
Romantikerin in dir steckt«, spöttelte Anne, »und daß du so weitreichende
geographische Kenntnisse hast.«
    »Schließlich bin ich Amerikanerin«,
schmollte Katie eingeschnappt, »da weiß man so etwas natürlich. Daran ändert
die Tatsache, daß man es gerade erst nachgelesen hat, rein gar nichts.«
    »Ich dachte, du bist Irin.«
    »Dem Blut nach. Dem Paß nach
Amerikanerin.«
    »Wie man’s gerade braucht, hm?
Praktisch für dich.«
    Aber Katie schien soeben Geschmack am
Sightseeing gefunden zu haben: »Sag, wollen wir uns morgen in Amarillo die
Cadillac Ranch ansehen?«
    »Seit wann hast du es mit
Rindviechern?«
    »Quatsch, Rindviecher. Da hat so ein
spinnerter Geldsack zehn Cadillacs der Baujahre ‘49 bis ‘63 mit der vorderen
Hälfte in der Wüste vergraben, damit man die Entwicklung der Heckflossen
studieren kann. Irre, was?«
    »Allerdings. Das sehen wir uns an. Und
noch etwas: Heute abend suche ich das Motel aus. Und ich bezahle es.«
    »Okay, Prinzessin, da beuge ich mich
ganz deinem Willen.«
    Dann waren sie wieder auf der alten Straße.
McLean, Groom, Conway, verschlafene Ortschaften in der dürrbraunen Landschaft
der Panhandle. Ab und zu Autowracks am Straßenrand, traurige Blechruinen aus
der Ära der Petticoats und des Rock ‘n’ Roll. Es war still, als hielte die Welt
den Atem an. Schatten bizarrer Wolkengebilde huschten wie Gespenster über die
Erde.
    Sie erreichten Amarillo im letzten
Licht des Tages. Ein paar Ölbohrtürme schnitten ihre schwarzen Umrisse scharf
in den glühenden Himmel. Von Westen her wehte ein lauer Wind Gerüche von
Kuhdung heran.
    Was sie auf dem schäbigen Amarillo
Boulevard sahen, war nicht gerade erhebend: Schrottplätze, zwielichtige Kneipen
und jede Menge Liquor Stores. Offenbar war es hier vorbei mit der trockenen
Zone.
    Unter den ziemlich angegammelten
Motels entschied sich Anne für ein kleineres Gebäude in nachgebautem
Western-Stil, mit für hiesige Verhältnisse dezenter Lichtreklame und einem
Springbrunnen vor dem Empfangshäuschen. Letzeres wurde von der Besitzerin
beinahe restlos ausgefüllt.

Weitere Kostenlose Bücher