Schneeköniginnen
erscheinen mußte. Keine Straße war zu sehen,
nirgends Häuser, nur Felsen, Gestrüpp und Grillengezirpe. World’s end.
»Und jetzt?« Katie wankte auf einen
Felsquader zu und ließ sich darauf nieder. Sie war fertig. Anne wirkte noch
relativ frisch.
»Tja... hm. Warte, ich geh’ nur mal
eben zu dem Felsen da rüber, vielleicht sieht man, ob es hinter dem Feld einen
Weg gibt.«
Katie nickte. Ihr Atem hörte sich an wie
eine leere Shampooflasche, aus der man die allerletzte Haarwäsche herauspreßte.
Hätte sie doch bloß eine Dose Cola oder Bier mitgenommen.
Anne pirschte an den hohen
Grünpflanzen entlang. Sie erschrak erneut, als es vor ihr raschelte. Aber es
war nur ein Hase, der einen Moment hocken blieb, sie aus erstaunten Augen ansah
und dann gemächlich davonhoppelte.
»Der hat noch nie einen Menschen
gesehen«, murmelte Anne und sah ihm nach, wie er im Feld zwischen niedrigem
Unkraut verschwand.
Dann knallte es.
Die scharfe Detonation ließ die Luft
vibrieren, und wo eben noch der Hase gelaufen war, tat sich ein Krater im
Erdreich auf, so groß, daß Teresas Hintern bequem darin Platz gefunden hätte.
Etwas Warmes, Feuchtes flog Anne ins Gesicht und landete dann auf der Erde.
Ekel und blankes Entsetzen schnürten ihr die Kehle zu, nur ein heiseres Röcheln
blieb von ihrem Schrei übrig. Das Ding war ein zerfetzter Hasenkopf.
Jetzt brüllte Katie: »Verdammt, was
ist passiert?«
Anne wankte zurück. »Ich... Ich weiß
nicht.« Sie fuhr sich übers Gesicht, Blut hinterließ eine klebrige Spur auf
ihrem Handrücken. Angewidert wischte sie es an einem Grasbüschel ab. »Jemand
schießt auf uns.«
Katie kam zögernd näher. »Das kann
doch nicht sein.« Sie sah sich um. Weit und breit kein Mensch. Dann entdeckte
sie die Überreste des Hasen. »Pfui Teufel! Was ist das?«
»Ein Stück Hase. Er lief gerade vor
mir her, da knallte es, und er war tot...« Anne unterdrückte ein Schluchzen,
sie schlotterte am ganzen Körper.
»Moment mal...«, Katie faßte Anne an
der schweißnassen Hand. »Nicht bewegen.«
»Was ist?«
»Das war kein Schuß. Ich weiß, wie
sich ein Schuß anhört. Der Hase lief in das Feld da, hast du gesagt?«
»Ja. Katie, was ist hier los, ich hab’
Angst«, wimmerte Anne kläglich.
»Nur keine Panik. Schau dir doch mal
die Pflanzen an. Nein, bleib stehen, nicht hingehen.«
Anne starrte dumpf die grünen Wedel
an.
»Was ist damit?«
»Das ist Marihuana. Schau doch! Fünf
Finger.«
»Ja, schon möglich«, nickte Anne, die
sich noch nie ausgiebig mit Botanik befaßt hatte. Nur ganz allmählich bekam sie
ihren Adrenalinspiegel wieder in den Griff. »Wächst das hier wild?«
»Mensch, du bist doch sonst nicht auf
den Kopf gefallen! Das ist eine Plantage, das sieht man doch. Und sie ist
vermint.«
»Ver-mint?« Ein kalter Hauch streifte
Anne. »Das kann doch nicht wahr sein. Sowas gibt es doch bloß in Kolumbien oder
in Peru. Äußerstenfalls in Mexiko... Katie? Glaubst du, wir haben uns so weit
verfahren?«
Katie grinste. »Quatsch.
Marihuanaplantagen gibt es auch in den Staaten, meist auf staatlichem Land, in
Naturparks und so. Sogar Koka-Felder. Das Klima ist hier doch ideal, du siehst
ja, die Dinger sind höher als ich. Ewig schade, daß wir hier nicht ein bißchen
was abernten können, aber manche Plantagen sind besser geschützt als die
frühere DDR-Grenze. Mit Minen, Selbstschußanlagen und all solchen Extras. Ich
hab’ darüber mal was gelesen.«
»Ach«, sagte Anne, »du liest?«
Statt einer Antwort sammelte Katie ein
paar faustgroße Steine auf und warf sie an mehreren Stellen in die Plantage. Beim
sechsten oder siebten gab es den selben Knall wie vorhin. Erdschollen spritzten
durch die Luft, ein weiterer Krater war entstanden.
»Tatsächlich.« Anne stand steif wie
eine Salzsäule vor Angst, bei der geringsten Bewegung das Schicksal des Hasen
zu erleiden. »Und wie kommen wir jetzt wieder weg, ohne in die Luft zu
fliegen?« fragte sie eine Spur zu laut.
»Auf genau dem selben Weg, wie wir
hergelaufen sind, würde ich sagen. Dreh dich um, wir gehen hintereinander
zurück, dann dürfte nichts passieren. Achte auf Drähte oder ähnliches.«
Schritt für Schritt, wie zwei Roboter,
tasteten sie sich zurück, Katie voraus, Anne hinterher. Die unsichtbare
Bedrohung brachte sie an den Rand eines hysterischen Anfalls, und das gräßliche
Bild des Hasenkopfes hatte sich in ihre Netzhaut eingraviert. Erst als sie
ihren Jeep erreicht hatten, wagte Anne, wieder ganz
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