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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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war das berauschende Glücksgefühl, das er sonst vor jeder Festnahme verspürte? Wurde es schon jetzt von dem Gefühl der Leere überlagert, wieder zu spät gekommen zu sein, wie bei einem Feuerwehrmann, der in den qualmenden Ruinen herumstochert? Bestimmt, aber da war noch etwas anderes, und das spürte er jetzt ganz deutlich. Er hegte Zweifel. Die Fingerabdrücke und die Aufnahme im Storosenteret reichten vor Gericht allemal, aber das war alles viel zu leicht gewesen. Derart banale Fehler passten irgendwie nicht zu diesem Mörder. Das konnte nicht die gleiche Person sein, die Sylvia Ottersens Kopf als oberste Kugel auf einem Schneemann platziert hatte, die Leiche eines Polizisten in dessen eigenem Gefrierschrank eingefroren und Harry den Brief mit den simplen Fragen geschickt hatte: Und du musst dich fragen: ” Wer hat den Schneemann gemacht? Wer macht Schneemänner? “
    “Was sollen wir tun?”, fragte Katrine. “Wir nehmen ihn gleich selbst fest?”
    Harry konnte ihrem Tonfall nicht entnehmen, ob das eine Frage war.
    ” Vorläufig warten wir”, erklärte Harry. “Bis Verstärkung eingetroffen ist. Dann klingeln wir.”
    “Und wenn er nicht zu Hause ist?” “Er ist zu Hause.”
    “Ach ja? Woher … “
    “Guck mal ins Wohnzimmerfenster und fixier einen bestimmten Punkt.”
    Sie blickte hinüber. Und als das weiße Licht hinter den großen Panoramafenstern leicht flackerte, sah er, dass sie verstand. Dort lief ein Fernseher.
    Sie warteten schweigend. Stille. Eine Krähe schrie. Wieder Stille.
    Harrys Telefon klingelte.
    Die Verstärkung war eingetroffen.
    Harry umriss den Beamten kurz die Situation. Dass er keine Uniformen sehen wollte, bevor er sie rief oder sie einen Schuss oder Rufen hörten.
    “Stell das Ding auf stumm”, empfahl Katrine, nachdem er das Gespräch beendet hatte.
    Er lächelte kurz, tat, was sie gesagt hatte, und warf ihr einen verstohlenen Blick zu. Dachte an ihr Gesicht, als die Tür des Gefrierschranks aufgegangen war. Doch jetzt verrieten ihre Züge keine Spur von Angst oder Nervosität, nur Konzentration. Er ließ das Handy in die Jackentasche gleiten und hörte es gegen den Revolver klicken.
    Sie stiegen aus dem Auto, liefen über die Straße und öffneten das Tor. Der nasse Schotter des Gartenweges bohrte sich in ihre Schuhsohlen. Harry blickte zum Panoramafenster und achtete auf die Schatten, die über die weiße Tapete huschten.
    Dann standen sie auf der Treppe. Katrine warf einen Blick auf Harry. Als er nickte, klingelte sie. Ein tiefes, melodiöses DingDang ertönte.
    Sie warteten. Keine Schritte. Kein Schatten hinter dem rauen Glas des länglichen Fensters neben der Haustür.
    Harry trat vor und legte das Ohr an die Glasscheibe. Eine einfache, aber überraschend effektive Art auszuhorchen, was sich in einem Haus tat. Aber Harry hörte nichts, nicht einmal den Fernseher. Er trat drei Schritte zurück, packte mit bei den Händen die Regenrinne am Dachvorsprung über der Treppe und zog sich so weit hoch, dass er ins Wohnzimmer gucken konnte. Auf dem Boden vor dem Fernseher saß eine Gestalt mit verschränkten Beinen, die ihm den Rücken zuwandte. Sie hatte sich einen riesigen Kopfhörer aufgesetzt, der den Schädel wie ein schwarzer Heiligenschein umgab. Von den Kopfhörern führte eine Leitung zum Fernseher.
    “Der kann uns nicht hören, weil er Kopfhörer aufhat”, verkündete Harry und ließ sich gerade noch rechtzeitig runter, um zu sehen, wie Katrine die Hand auf die Klinke legte. Die Tür löste sich mit einem Schmatzen von der Gummidichtung im Rahmen.
    “Wir sind bestimmt willkommen”, meinte Katrine leise und ging hinein.
    Überrumpelt und leise fluchend, folgte Harry seiner Kollegin.
    Katrine war bereits an der Wohnzimmertür und öffnete sie. Dort blieb sie stehen und wartete, bis Harry neben ihr war. Sie trat einen Schritt zur Seite und streifte dabei ein Gestell mit einer Vase, die gefährlich ins Wackeln kam, dann aber doch stehen blieb.
    Es waren mindestens sechs Meter bis zu der Person, die mit dem Rücken zu ihnen auf dem Boden saß.
    Im Fernseher versuchte ein Baby unbeholfen das Gleichgewicht zu halten, wobei es den Zeigefinger einer lachenden Frau umklammerte. Die Anzeige des DVD-Spielers unter dem Fernseher leuchtete blau. Harry hatte plötzlich ein Deja-vu, das Gefühl einer Tragödie, die sich wiederholen würde. Und zwar genau so: Stille, Amateuraufnahmen mit Bildern von einer glücklichen Familie, der Kontrast zwischen damals und heute, eine

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