Schneemann
zum Glück keine Krankenblätter von Stop waren. Diese Sprechstundenhilfe von Vetlesen meinte auch, es habe nie welche über Stop gegeben.”
“Tatsächlich? Und warum nicht?”
“Das weiß ich doch nicht, Harry. Aber mir ist das nur recht so, wir können im Moment wirklich nicht noch mehr Schwierigkeiten gebrauchen. Mein Gott! Arve Stop! Wie auch immer, von jetzt an wird Bratt dich überallhin begleiten und mir hinterher Bericht erstatten. “
“Hm”, machte Harry und nickte der Bedienung zu, die ein neues Glas vor ihm abstellte. “Hatte sie diesen Auftrag nicht schon längst?” “Wie meinst du das denn?”
“Na, als sie angefangen hat, hast du ihr doch gesagt, ich soll ihr … ” Harry hielt abrupt inne.
“Ihr was?”, fragte Hagen ärgerlich. Harry schüttelte den Kopf.
“Was ist los? Stimmt was nicht?”
“Ach, nichts!”, erwiderte Harry, kippte die Hälfte seines Glases in einem Zug und legte einen Hunderter auf den Tisch. “Schönen Abend noch, Chef.”
Hagen blieb sitzen, bis Harry draußen war. Erst dann bemerkte er, dass in der Flüssigkeit in Harrys halbleerem Glas gar keine Bläschen perlten. Er blickte sich rasch um, ehe er das Glas vorsichtig an die Lippen setzte. Es schmeckte säuerlich. Apfelsaft.
Harry ging durch stille Straßen nach Hause. Die Fenster der alten, niedrigen Stadthäuser leuchteten wie gelbe Katzenaugen in der Nacht. Er hatte Lust, Holzschuh anzurufen und ihn zu fragen, wie es lief, entschloss sich dann aber, ihn während der Nacht in Ruhe zu lassen, wie besprochen. Er bog um die Ecke der Sofiesgate. Menschenleer. Als er auf sein Haus zusteuerte, bemerkte er eine Bewegung und einen winzigen Lichtschein. Das Schimmern einer Laterne, das von Brillengläsern reflektiert wurde. Irgendjemand stand hinter den geparkten Autos auf dem Bürgersteig und schien mit dem Schloss einer Autotür zu kämpfen. Harry wusste, welche Autos in der Regel an diesem Ende der Straße standen. Und dieser Wagen, ein blauer Volvo C70, gehörte definitiv nicht dazu.
Es war zu dunkel, als dass Harry das Gesicht des Mannes hätte erkennen können, seine Kopfhaltung deutete aber darauf hin, dass er Harry beobachtete. Ein Journalist? Harry ging an dem Auto vorbei. Im Seitenspiegel eines anderen geparkten Wagens sah er einen Schatten zwischen den Autos hervorpirschen und sich von hinten anschleichen. Ohne jede Hektik steckte Harry die Hand in die Manteltasche. Spürte die Schritte kommen. Und die Wut. Er zählte bis drei und drehte sich um. Die Person hinter ihm erstarrte.
“Wollen Sie zu mir?”, fragte Harry heiser, trat mit gezücktem Revolver einen Schritt vor, packte den Mann am Kragen und drückte ihn zur Seite, bis er das Gleichgewicht verlor und rücklings gegen einen geparkten Wagen fiel. Harry beugte sich über ihn, drückte ihm seinen Unterarm gegen den Hals und setzte ihm die Mündung des Revolvers auf ein Brillenglas.
“Haben Sie es auf mich abgesehen?”, fauchte Harry.
Die Antwort des Mannes wurde von der jäh anspringenden Alarmanlage des Autos übertönt. Das penetrante Heulen erfüllte die ganze Straße. Der Mann versuchte, sich zu befreien, doch Harry hielt ihn fest, so dass er schließlich aufgab. Als sein Hinterkopf mit einem dumpfen Laut auf das Blech des Wagens schlug, fiel das Licht der Straßenlaterne auf sein Gesicht. Harry ließ ihn los. Der Mann krümmte sich zusammen und hustete.
“Kommen Sie mit”, rief Harry durch das hartnäckige Sirenengeheul, packte den Mann unterm Arm und zog ihn mit sich über den Bürgersteig. Er schloss die Haustür auf und schob den Mann in den Flur.
“Was zum Henker tun Sie hier?”, wollte Harry wissen. “Und woher wissen Sie, wo ich wohne?”
“Ich hab den ganzen Abend versucht, die Nummer anzurufen, die auf Ihrer Visitenkarte steht. Und dann habe ich die Auskunft angerufen und so Ihre Adresse gekriegt.”
Harry sah den Mann an. Das heißt den Schatten dieses Mannes, denn selbst in der Untersuchungshaft war von Professor Filip Becker noch mehr zu sehen gewesen als jetzt.
“Ich musste das Telefon ausschalten”, erklärte Harry.
Harry ging vor Becker die Treppen hoch, schloss seine Wohnung auf, zog sich die Stiefel aus und schaltete den Wasserkocher ein.
“Ich habe Sie heute bei Bosse gesehen”, begann Becker. Er war in die Küche gekommen, trug aber noch Mantel und Schuhe. Sein Gesicht sah blass und tot aus. “Das war mutig von Ihnen. Deshalb wollte ich auch mutig sein. Ich schulde Ihnen etwas.”
“Sie schulden
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