Schneemann
mir etwas?”
“Sie haben mir geglaubt, als das sonst niemand getan hat. Sie haben mich vor einer öffentlichen Demütigung bewahrt.” “Hm.” Er schob dem Professor einen Stuhl hin, doch der schüttelte den Kopf.
“Ich gehe gleich wieder. Ich will Ihnen nur etwas sagen, was sonst niemand erfahren darf. Ich weiß nicht einmal, ob das für den Fall relevant ist, aber es geht um Jonas.”
“Ja? Was denn?”
“An dem Abend, an dem ich zu Lossius gegangen bin, habe ich ihm etwas Blut abgenommen.”
Harry erinnerte sich an das Pflaster auf dem Unterarm des Jungen.
“Sowie eine Speichelprobe. Und die habe ich dann der Vaterschaftsabteilung des Gerichtsmedizinischen Instituts geschickt für einen DNA-Test.”
“Ach ja? Ich dachte, dafür bräuchte man einen Anwalt.” “Früher ja. Jetzt kann jeder so einen Test in Auftrag geben. Zweitausendachthundert Kronen pro Person. Etwas mehr, wenn es schnell gehen soll. Ich wollte, dass es schnell geht. Und heute habe ich die Antwort gekriegt. Jonas … ” Becker brach ab und holte tief Luft. “Jonas ist nicht mein Sohn.”
Harry nickte langsam.
Becker wippte auf den Fußsohlen, als wollte er Anlauf nehmen. “Ich habe darum gebeten, seine DNA mit allen anderen Proben abzugleichen, die sie in der Datenbank haben. Sie haben eine hundertprozentige Übereinstimmung gefunden.”
“Eine hundertprozentige? Also Jonas selbst?”
“Genau.”
Harry dachte nach. Es begann ihm zu dämmern.
“Es gibt also noch jemand anders, der eine DNA-Probe von Jonas eingeschickt hat”, fuhr Becker fort. “Mir wurde mitgeteilt, dieses andere Profil sei vor sieben Jahren erstellt worden.”
“Und die haben bestätigt, dass es von Jonas stammt?”
“Nein, das war anonym. Aber sie hatten den Namen des Auftraggebers. “
” Und wer war das?”
“Ein Ärztecenter, das es jetzt nicht mehr gibt.” Harry kannte die Antwort, bevor Becker es aussprach: “Eine Marienlyst-Klinik.” “Idar Vetlesen “, sagte Harry ruhig und legte den Kopf zur Seite, als wollte er sich vergewissern, ob ein Bild schief hing. “Stimmt”, bestätigte Becker, schlug die Hände zusammen und lächelte blass. “Das war alles. Ich wollte nur sagen, dass ich … ich keinen Sohn habe.”
“Das tut mir leid.”
“Gespürt habe ich das eigentlich schon lange.”
“Hm. Warum war es Ihnen so wichtig, mir das gleich mitzuteilen?”
“Ich weiß nicht”, antwortete Becker. Harry wartete ab.
“Ich … ich musste heute Abend einfach irgendetwas tun. Zum Beispiel Ihnen das mitteilen. Ich weiß nicht, auf welche Idee ich sonst noch verfallen wäre. Ich … ” Der Professor hielt einen Moment inne, bevor er fortfuhr: “Ich bin jetzt allein. Mein Leben hat nicht mehr viel Sinn. Wenn die Pistole echt wäre … “
“Nein”, fiel Harry ihm ins Wort, “denken Sie nicht mal dran. Sonst wird der Gedanke nur noch verlockender. Und Sie vergessen eines: Auch wenn Ihr Leben für Sie keinen Sinn mehr hat, so hat es für andere sehr wohl noch Sinn. Für Jonas zum Beispiel.”
“Jonas?”, schnaubte Becker und lachte bitter. “Dieses Kuckucksei? Dass ich nicht mal daran denken soll? Lernt man so was auf der Polizeischule?”
“Nein”, erwiderte Harry.
Sie sahen sich an.
“Egal”, meinte Becker. “Jetzt wissen Sie’s.” “Danke”, sagte Harry.
Als Becker gegangen war, versuchte Harry noch immer herauszufinden, ob das Bild schief hing. Er merkte nicht einmal, dass das Wasser kochte, sich der Wasserkocher ausschaltete und das kleine rote Lämpchen unter dem Schalter erlosch.
KAPITEL 23 19. Tag. Mosaik
Es war sieben Uhr morgens. Die Morgendämmerung versteckte sich hinter einer dicken Wolkenschicht, als Harry den Flur in der siebten Etage des Hochhauses in Frogner betrat. Holzschuh hatte die Tür seiner Wohnung einen Spalt offen stehen lassen. Als Harry eintrat, saß er auf dem Sofa, die Füße auf dem grünen Clubtisch, die Fernbedienung in der linken Hand. Auf der Mattscheibe liefen die Bilder gerade rückwärts und lösten sich zu einem digitalen Mosaik auf.
“Wirklich kein Bier?”, wiederholte Holzschuh und prostete ihm mit seiner eigenen halbleeren Flasche zu. “Ist doch Samstag.”
Harry glaubte, Käsefüße riechen zu können. Beide Aschenbecher waren voller Zigarettenstummel.
“Nein danke”, wehrte Harry ab und setzte sich. “Und?”
“Tja, ich hatte ja nur diese eine Nacht.” Holzschuh hielt die DVD an. “Normalerweise brauche ich schon mehrere Tage.” “Aber dieser
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