Schneemann
sich allerdings seine Nasenflügel, als stünde er unter Stress. Doch dann denkt er nach, versteckt seine Hände und präsentiert uns seine Lüge.”
“Ah ja. Und das bedeutet, dass er etwas zu verbergen hat, stimmt’s?”
Holzschuh presste die Lippen zusammen, um zu zeigen, dass diese Frage nicht so leicht zu beantworten war. “Es kann auch bedeuten, dass er uns eine Lüge bietet, von der er weiß, dass sie durchschaut wird. Um zu verbergen, dass er einfach auch die Wahrheit hätte sagen können.”
“Wie meinst du das denn jetzt?”
“Wenn Profi-Spieler gute Karten haben, kommt es manchmal vor, dass sie erst so tun, als würden sie bluffen, bevor sie mit hohen Einsätzen kommen, um den Pott in die Höhe zu treiben. Gerade so viel, dass die unerfahrenen Spieler glauben, einen Bluff entlarvt zu haben, und mitgehen. Eigentlich sieht das hier für meine Augen auch so aus. Für mich ist das ein gebluffter Bluff.”
Harry nickte langsam. “Du meinst, er will mich glauben lassen, er hätte etwas zu verbergen? “
Holzschuh blickte erst auf die leere Bierflasche, dann auf den Kühlschrank, ehe er den halbherzigen Versuch unternahm, seinen schweren Körper aus dem Sofa zu wuchten. Er seufzte.
“Wie gesagt, wir haben es hier nicht mit einer exakten Wissenschaft zu tun”, wiederholte er. “Könntest du vielleicht … “
Harry stand auf und ging zum Kühlschrank. Innerlich fluchte er. Als er Oda in der Bosse-Redaktion angerufen hatte, war er sich darüber im Klaren gewesen, dass sie sein Angebot annehmen würden. Und dass er damit die Gelegenheit bekam, Støp ungehindert Fragen zu stellen, schließlich war das ein Grundsatz dieser Sendung. Überdies schoss die Kamera von jedem, der antwortete, entweder eine Großaufnahme oder mindestens Bilder, die den Oberkörper zeigten. Eine perfekte Ausgangslage für Holzschuhs Analyse. Trotzdem hatten sie eine Niederlage eingesteckt. Dies war sein letzter Strohhalm gewesen, der letzte einigermaßen helle Ort, an dem er suchen konnte. Jetzt tappten sie wieder im Dunkeln. Möglicherweise zehn Jahre, in denen sie auf ihr Glück hofften, auf Kommissar Zufall, auf einen Fehler.
Harry starrte auf die sauber aufgestellten Reihen von RingnesPils im Kühlschrank. Ein seltsamer Kontrast zu dem Chaos in der Wohnung. Er zögerte. Dann nahm er zwei Flaschen. Sie waren so kalt, dass sie ihm auf der Handfläche brannten. Die Kühlschranktür fiel zu.
“Die einzige Stelle, an der ich mit Sicherheit sagen kann, dass Støp lügt”, rief Holzschuh von seinem Sofa, “ist der Moment, in dem er behauptet, dass es in seiner Familie keine psychischen Krankheiten gibt.”
Es gelang Harry, die Kühlschranktür mit dem Bein aufzuhalten.
Das Licht, das durch den Spalt fiel, wurde von den vorhanglosen schwarzen Fensterflächen reflektiert.
“Sag das noch mal”, bat er.
Holzschuh sagte es noch mal.
Fünfundzwanzig Sekunden später war Harry schon das halbe Treppenhaus hinuntergestürmt, während Holzschuh das Bier, das Harry ihm zugeworfen hatte, bis zum Etikett geleert hatte.
“Da war noch etwas, Harry”, murmelte Holzschuh. “Bosse hat dich gefragt, ob es eine Besondere sei, auf die du wartest, und du hast mit nein geantwortet.” Er rülpste. “Fang du bloß nie an, Poker zu spielen, Harry.”
Harry rief vom Auto aus an.
Bevor er sich melden konnte, tönte es aus dem Hörer: “Hallo, Harry!”
Der Gedanke, dass Mathias Lund-Helgesen entweder seine Nummer wieder erkannte oder seinen Namen gespeichert hatte, ließ Harry schaudern. Im Hintergrund konnte er Rakels und Olegs Stimmen hören. Wochenende. Familie.
“Ich habe eine Frage über die Marienlyst-Klinik. Gibt es noch die Patientenakten von damals?”
“Das bezweifle ich”, meinte Mathias. “Ich glaube, es gibt da Vorschriften, dass solche Akten vernichtet werden müssen, wenn keiner die Praxis oder die Klinik weiterführt. Ich kann das aber überprüfen, wenn es wichtig ist.”
“Danke.”
Harry fuhr an der U-Bahnstation in Vinderen vorbei. Fetzen einer Erinnerung flogen vorüber. Eine Verfolgungsjagd, ein Unfall, ein toter Kollege. Das Gerücht, Harry, der am Steuer gesessen hatte, hätte auf Alkohol getestet werden müssen. Das war lange her. Wasser unter der Brücke. Narben unter der Haut. Versicolor auf der Seele.
Mathias rief nach einer Viertelstunde zurück.
“Ich habe mit Gregersen gesprochen, der damals die Marienlyst-Klinik geleitet hat. Ich fürchte, es wurde wirklich alles aufgelöst. Aber einige von
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