Schneemann
vergöttert hat.” Sie sah kurz auf. “Sie war noch ein kleines Mädchen, als er von den Zeitungen zum Gewalttäter gestempelt wurde. Katrine hat das zutiefst verletzt, verängstigt und verwirrt. In der Schule wurde sie danach gemobbt, und kurz darauf ließen sich ihre Eltern auch noch scheiden. Als Katrine neunzehn war, verschwand ihr Vater unmittelbar nach der Ermordung von zwei Frauen in Bergen. Die Ermittlungen wurden zwar eingestellt, aber sowohl die Polizei als auch die Öffentlichkeit gingen davon aus, dass ihr Vater die Frauen ermordet und sich dann selbst gerichtet hatte, da er keinen Ausweg mehr für sich sah. In diesem Moment fasste Katrine den Entschluss, selbst zur Polizei zu gehen, die Morde aufzuklären und den Namen ihres Vaters reinzuwaschen.”
Kjersti Rodsmoen blickte auf. Keiner der beiden Beamten notierte etwas. Sie starrten sie bloß an.
“Sie hat sich dann auf der Polizeischule beworben”, fuhr Rodsmoen fort. “Und bekam nach der Ausbildung eine Anstellung im Dezernat für Gewaltverbrechen in Bergen. Wo sie in der dienstfreien Zeit sofort begann, im Fall ihres Vaters zu ermitteln. Bis man ihr auf die Schliche kam und ihr jede weitere Beschäftigung mit dem Fall verbot. Daraufhin ließ Katrine sich in das Dezernat für Sittlichkeitsverbrechen versetzen. Das stimmt doch so weit, oder?”
” Ja, das kann ich bestätigen”, nickte Müller-Nilsen.
“Es wurde darauf geachtet, dass sie sich nicht mehr mit dem Fallabgab, woraufhin sie einfach ähnliche Fälle zu untersuchen begann. Und als sie die Vermisstenliste des ganzen Landes durchging, machte sie prompt eine interessante Entdeckung: Auch nach dem Verschwinden ihres Vaters wurden immer wieder Frauen vermisst gemeldet, die nie wieder auftauchten. Die Umstände waren dabei ähnlich wie bei Onny Hetland.” Kjersti Rodsmoen blätterte um. “Doch um wirklich weiterzukommen, brauchte Katrine Hilfe. Sie war sicher, in Bergen auf taube Ohren zu stoßen, weshalb sie sich entschloss, jemanden einzuschalten, der sich mit Serienmördern auskannte. Aber das musste heimlich geschehen, denn der Betreffende durfte ja nicht wissen, dass Raftos eigene Tochter dahintersteckte. “
Espen Lepsvik schüttelte langsam den Kopf, während Kjersti fortfuhr:
“Nach gründlicher Vorarbeit fiel ihre Wahl auf Hauptkommissar Harry Hole im Morddezernat in Oslo. Sie schrieb ihm einen Brief, in dem sie sich den geheimnisvollen Namen >Schneemann< gab. Zum einen, um seine Neugier zu wecken, zum anderen, weil in den verschiedenen Zeugenaussagen, die im Zusammenhang mit den Vermisstenmeldungen gemacht worden waren, immer wieder ein Schneemann erwähnt wurde. Und auch in den Aufzeichnungen ihres Vaters über den Mord oben auf dem Ulriken war von einem Schneemann die Rede. Als das Morddezernat in Oslo eine freie Stelle explizit für Frauen ausschrieb, bewarb sie sich und wurde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Sie hat mir erzählt, ihr sei die Stelle förmlich aufgedrängt worden, bevor sie sich auch nur richtig hingesetzt hatte.”
Rodsmoen blickte erneut auf, fuhr aber fort, als die anderen weiter schwiegen: “Vom ersten Tag an versuchte Katrine in Kontakt mit Harry Hole zu kommen, um an den Ermittlungen beteiligt zu werden. Bei allem, was sie bereits über Hole und den Fall wusste, fiel es ihr leicht, ihn zu manipulieren und seine Aufmerksamkeit auf Bergen und das Verschwinden von Gert Rafto zu lenken. Und mit Holes Hilfe fand sie schließlich auch ihren Vater. In einem Eisschrank auf Finnoy.”
Kjersti nahm die Brille ab.
“Man braucht nicht viel Phantasie, um zu verstehen, dass ein solches Erlebnis psychische Folgen nach sich ziehen muss. Außerdem verstärkte der Stress sich natürlich dadurch, dass sie dreimal gedacht hatten, den richtigen Täter entlarvt zu haben. Erst Idar Vetlesen, dann einen … “, sie blinzelte kurzsichtig auf ihren Zettel, ” … einen Filip Becker und schließlich Arve Stop. Nur um zu erkennen, dass es jedes Mal die falsche Person war. Katrine versuchte selbst, Stop ein Geständnis zu entlocken, gab aber auf, als sie erkannte, dass auch er nicht der richtige Mann war. Sie floh vom Tatort, als sie die Polizei kommen hörte. Sie glaubte, niemand könne sie schnappen, bevor sie nicht ihren Job erledigt, also den Schuldigen entlarvt hatte. Ab hier, glaube ich, müssen wir von einer tiefen Psychose ausgehen. Sie fuhr zurück nach Finnoy, rechnete aber damit, dass Hole sie dort aufspüren würde. Und so sollte es dann ja auch
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