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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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komplett von einer beinahe unsichtbaren Wasserschicht bedeckt, die sich nur dann bewegte, wenn der nächste Tropfen fiel. Aber das alles sah Rakel nicht, sie sah einzig den riesigen Schneemann, der mitten im Zimmer thronte.
    Der Schlapphut auf dem breit grinsenden Kopf ragte fast bis an die Decke.
    Als sie endlich wieder Luft holte und Sauerstoff ins Hirn strömte, roch sie nasse Wolle und nasses Holz und hörte das Tropfen des Schmelzwassers. Kältewellen waberten ihr vom Schneemann entgegen, aber nicht das war für die Gänsehaut verantwortlich, die sie plötzlich am ganzen Körper verspürte. Vielmehr ließ sie die Körperwärme des Menschen erschaudern, der plötzlich hinter ihr stand.
    “Ist der nicht schön?”, fragte Mathias. “Den habe ich extra für dich gebaut.”
    “Mathias … “
    “Psst.” Mit einer beinahe beschützenden Geste legte er ihr den Arm um den Hals. Sie blickte nach unten. In seiner Hand hielt er ein Skalpell. “Lass uns jetzt nicht reden, Geliebte. Es gibt so viel zu tun, und wir haben nur wenig Zeit.”
    “Warum? Warum?”
    “Heute ist unser Tag, Rakel. Der Rest des Lebens ist so unbegreiflich kurz, also wollen wir feiern und uns nicht mit langen Erklärungen aufhalten. Bitte leg die Arme auf den Rücken.”
    Rakel tat, was er sagte. Sie hatte Oleg nicht wieder aus dem Keller hochkommen hören. Vielleicht war er noch immer unten, vielleicht konnte er es nach draußen schaffen, wenn sie Mathias noch ein bisschen aufhielt. “Ich will aber wissen, warum”, beharrte sie und spürte, wie ihr die aufsteigenden Tränen auf die Stimmbänder drückten.
    “Weil du eine Hure bist.”
    Sie fühlte etwas Hartes, Dünnes, das sich um ihre Handgelenke straffte, und seinen warmen Atem im Nacken. Die Lippen. Die Zunge. Sie biss die Zähne zusammen und ließ ihn gewähren, um Zeit zu gewinnen, denn sie wusste, er würde aufhören, wenn sie schrie. Die Zunge arbeitete sich nach oben zu ihrem Ohr vor. Dann biss er sie zärtlich.
    “Und dein kleiner Hurensohn liegt in der Tiefkühltruhe”, flüsterte er.
    “Oleg?” Sie spürte, wie sie endgültig die Kontrolle verlor. “Entspann dich, Liebste. Er wird nicht erfrieren.” “Nein?”
    “Bis sein Körper so abgekühlt ist, ist dein kleiner Hurensohn längst am Sauerstoffmangel eingegangen. Das ist einfache Mathematik.”
    “Mathema … “
    “Das hab ich schon mal ausgerechnet. Vor langer Zeit. Wie alles andere auch.”
    Ein Motorrad schlidderte mit hoher Drehzahl durch die dunklen, glatten Kurven zum Holmenkollen. Das Dröhnen hallte zwischen den Häusern, und alle, die das Motorrad beobachteten, dachten sich, dass man diesem Wahnsinnigen ganz dringend den Führerschein abnehmen sollte. Dabei hatte dieser Wahnsinnige gar keinen Führerschein.
    Harry bog in die Einfahrt der schwarzen Holzvilla und gab noch einmal Gas, doch die Räder drehten auf der steilen Auffahrt mit dem frisch gefallenen Schnee durch, so dass er nur noch langsamer wurde. Er versuchte gar nicht erst, die Maschine wieder unter Kontrolle zu bekommen, sondern sprang einfach ab. Das Motorrad rutschte über die Böschung und zerbrach auf seinem Weg ein paar weiche Tannenzweige. Schließlich wurde es von einem Baumstamm aufgehalten, kippte auf die Seite und wirbelte mit dem Hinterrad noch ein wenig Schnee auf, bevor der Motor erstarb.
    Aber da war Harry fast schon an der Treppe.
    Im Schnee waren keine Spuren zu sehen, hier war niemand kürzlich zum Haus gegangen oder von dort gekommen. Er zog den Revolver, während er zur Haustür hochhastete.
    Die Tür war offen. Wie versprochen.
    Als er in den Flur schlüpfte, fiel ihm gleich die sperrangelweit offen stehende Kellertür auf.
    Harry hielt inne und lauschte. Er hörte ein Geräusch, eine Art Trommeln. Es schien von unten zu kommen. Harry zögerte. Dann entschied er sich für den Keller.
    Er schlich sich seitwärts mit gezückter Waffe nach unten. Am Ende der Treppe blieb er stehen, damit sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnen konnten, während er angestrengt lauschte. Es kam ihm so vor, als hielte der ganze Raum die Luft an. Dann sah er den Gartenstuhl unter der Kellertürklinke. Oleg. Seine Augen suchten weiter. Gerade wollte er schon wieder nach oben gehen, als sein Blick auf den nassen Fleck auf dem Betonboden vor der Tiefkühltruhe fiel. Wasser? Er trat einen Schritt näher. Es musste unter der Tiefkühltruhe hervorgesickert sein. Er versuchte die Gedanken, die sich in diesem Moment meldeten, zu verdrängen und zog am

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