Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
niederströmte. Auf Gert Raftos Tisch lag die Namensliste, die ihm der Berufsverband geschickt hatte. Er hatte begonnen, die Kandidaten mit dem passenden Vornamen auszusondern. Bisher waren es nur drei. Seit seinem Besuch bei Onny Hetland waren erst zwei Stunden vergangen, und Rafto glaubte, bald zu wissen, wer Laila Aasen getötet hatte. Die Lösung des Falls in weniger als zwölf Stunden. Das würde ihm niemand nehmen können, diese Ehre gebührte dann ihm, und nur ihm. Weil er selbst nämlich die Presse informieren würde, die das Präsidium belagerte und unter die sich inzwischen auch Vertreter der Zeitungen aus der Hauptstadt gemischt hatten. Der Polizeipräsident hatte Order gegeben, die Details des Leichenfundes nicht an die Öffentlichkeit kommen zu lassen, aber die Geier hatten trotzdem längst Aas gewittert.
    “Irgendwo muss hier was durchgesickert sein”, sagte der Präsident und sah Rafto an. Doch der gab keine Antwort und verkniff sich sein zufriedenes Lächeln. Denn jetzt hockten die Reporter dort draußen und warteten nur darauf, Gert Rafto mit ihrer Berichterstattung wieder zum König der Bergener Polizei auszurufen.
    Er drehte das Radio leiser, in dem Whitney Houston seit Anfang Herbst hartnäckig beteuerte, ich werde dich immer lieben. Als er gerade den Hörer abnehmen wollte, klingelte sein Telefon. “Rafto”, bellte er ungeduldig. Er wollte weitermachen.
    “Ich bin der, den Sie suchen.”
    Die Stimme, die er hörte, verriet dem degradierten Polizisten sofort, dass er es weder mit einem Scherz noch mit einem Irren zu tun hatte. Der Anrufer klang kühl und beherrscht und hatte eine deutliche, sachliche Ausdrucksweise, so dass man die üblichen Besoffenen und Idioten von vornherein ausschließen konnte. Aber in der Stimme verbarg sich auch noch etwas anderes, das Rafto nicht recht einzuschätzen wusste.
    Er räusperte sich zweimal laut. Nahm sich Zeit. Als wollte er zeigen, dass ihn dieser Anruf nicht vom Sockel haute: “Mit wem spreche ich?”
    “Das wissen Sie selbst.”
    Rafto schloss die Augen und fluchte leise. Verdammt, verdammt, jetzt will der sich stellen. Das hätte bei weitem nicht den gleichen Effekt wie eine Festnahme durch ihn, Gert Rafto, persönlich. “Und wie kommen Sie darauf, dass ich es auf Sie abgesehen habe?”, fragte der Polizist mit zusammengebissenen Zähnen. “Ich weiß es ganz einfach”, antwortete die Stimme. “Und wenn wir das hier auf meine Weise regeln können, werden Sie kriegen, was Sie wollen.”
    “Und was will ich?”
    “Sie wollen mich verhaften. Und das können Sie auch. Aber allein. Hören Sie mir jetzt genau zu, Rafto.”
    Der Beamte nickte zerstreut, doch dann besann er sich und antwortete: “Ja.”
    “Wir treffen uns am Totempfahl im Nordnespark”, sagte die Stimme. “In genau zehn Minuten.”
    Rafto überlegte blitzschnell. Der Nordnespark lag beim Aquarium, das schaffte er in weniger als zehn Minuten. Aber warum sollten sie sich gerade dort treffen, in einem Park an der Spitze einer Landzunge?
    “Dann kann ich sehen, ob Sie allein kommen”, erklärte die Stimme, als hätte sie seine Gedanken gelesen. “Wenn ich noch andere Polizisten sehe oder Sie zu spät kommen, verschwinde ich. Für immer.”
    Raftos Hirn arbeitete auf Hochtouren. Er hatte keine Zeit, ein Team für eine Festnahme zu organisieren. Das musste er in seinem Bericht vermerken, um zu erklären, weshalb er diese Festnahme allein hatte durchführen müssen. Mit etwas Glück konnte das klappen.
    “Okay”, willigte Rafto ein. “Und was jetzt?”
    “Ich sage Ihnen alles und nenne Ihnen meine Bedingungen, bevor ich mich ergebe.”
    “Was für Bedingungen?”
    “Dass ich während der Verhandlung keine Handschellen trage und die Presse keinen Zutritt hat. Und dass ich an einen Ort komme, an dem ich mich nicht mit anderen Gefangenen abgeben muss.”
    Rafto begann zu husten. “In Ordnung”, sagte er und sah auf die Uhr.
    “Moment, es gibt noch weitere Bedingungen. Fernsehen auf dem Zimmer und alle Bücher, die ich haben will.”
    “Das lässt sich einrichten”, versprach Rafto.
    “Wenn Sie den Vertrag unterschrieben haben, komme ich mit Ihnen.”
    “Was, wenn … “, begann Rafto, aber das Tuten im Hörer verriet ihm, dass der andere schon aufgelegt hatte.
    Rafto parkte an der Werft. Das war nicht der kürzeste Weg, aber von dort hatte er einen besseren Überblick über den Park. Die große Grünanlage lag in einem hügeligen Gelände voller ausgetretener Wege und

Weitere Kostenlose Bücher